Case Study: Accommodation outside the Natural Family of the Young Child Herbert Braun1 on the basis of the decision of the Youth Office.
In Germany, the State may intervene in the parents’ rights to bring up children only in justified exceptional cases. Article 3, paragraph 1 of the UN Convention on the Rights of the Child stipulates that “In all actions concerning children, whether undertaken by public or private social welfare institutions, courts of law, administrative authorities or legislative bodies, the best interests of the child shall be a primary consideration.” The German Federal Constitutional Court grants an advance of confidence to the biological parents of a child, insinuating that “as a rule, the best interests of the child are more important to the parents than to any other person or institution.” 2
Article 6 (2) of the Basic Law for the Federal Republic of Germany states that “The care and upbringing of children is the natural right of parents and a duty primarily incumbent upon them. The state community shall watch over them in the performance of this duty.” At the same time, Article 6 (4) lays down that “Every mother shall be entitled to the protection and care of the community.” The German Basic Law distinguishes the notion Community from the State Community.
A community is understood as a social group or a circle of family members or friends whose members are closely connected by a strong “we-feeling”. The case study deals with the accommodation outside the natural family of the young child Herbert Braun, which was enforced by the Youth Office. The numerous official letters and statements of the non-governmental organisations prove that Ms Maria Braun belongs to the Russia-German community, which defends her mother’s rights over her child on the basis of Article 6 (4) of the Basic Law for the Federal Republic of Germany.
Zuwanderungsgemeinschaften als Experteninstanzen und Akteure der Juvenilen Justiz
In Deutschland darf der Staat nur in begründeten Ausnahmefällen in das Erziehungsrecht der Eltern eingreifen. Art. 3 Abs. 1 des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes schreibt fest, dass „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Das Bundesverfassungsgericht gewährt den leiblichen Eltern eines Kindes einen Vertrauensvorschuss, indem es unterstellt, „dass in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution.“2
Art. 6 (2) des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland besagt, dass „Pflege und Erziehung der Kinder … das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ sind. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Gleichzeitig, schreibt Art 6 (4) fest, dass „Jede Mutter … Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“ hat. Das deutsche Grundgesetz unterscheidet die Gemeinschaft von der staatlichen Gemeinschaft.
Eine Gemeinschaft wird als eine soziale Gruppe bzw. einen Familien- oder Freundeskreis verstanden, deren Mitglieder durch ein starkes „Wir-Gefühl“ miteinander eng verbunden sind. Die Fallstudie setzt sich mit der durch das Jugendamt durchgesetzten Fremdunterbringung des Kindes Herbert Braun auseinander. Die zahlreichen amtlichen Schreiben und die Stellungnahmen der Öffentlichkeit beweisen, dass Frau Maria Braun der russlanddeutschen Gemeinschaft gehört, welche die Rechte der Mutter im Sinne des Art 6 (2) des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verteidigt.
Die Zitate und Texte der Dokumente werden in Kursivschrift hervorgehoben, die Textabschnitte, die der Autor dieses Beitrages für wichtig hält, sind fett gekennzeichnet.
Urteil des Amtsgerichts (Auszüge)
3. Die Herausgabe des Kindes Herbert Braun, geb. ../10/2010 an den Vormund wird angeordnet.
Das Kind ist aus dem Aufenthaltsbereich der Herausgabepflichtigen wegzunehmen und dem Vormund zu übergeben.
Der Vollstreckungsbeamte bei dem zuständigen Amtsgericht wird durch diesen ausdrücklichen Beschluss gem. § 90 FamFG ermächtigt, bei der Wegnahme unmittelbaren Zwang anzuwenden. Er ist in diesem Fall befugt, um eine Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane nachzusuchen.
Gemäß § 91 FamFG wird der Vollstreckungsbeamte befugt, in Ausführung des Vollzugs dieser Anordnung die Wohnung und die Behältnisse der Kindesmutter oder anderer Personen, bei denen sich das Kind aufhält, zu durchsuchen, soweit der Zweck der Vollziehung dies erfordert. Er darf verschlossene Haustüren, Zimmertüren und Behältnisse gewaltsam öffnen lassen.
Begründung des Amtsgerichts (Auszüge):
Die Kindeseltern sind Eltern des Kindes Herbert Braun, geb. ../10/2010. Daneben ist die Kindesmutter Mutter eines volljährigen Sohnes.
Dieses Verfahren wurde aufgrund einer Mitteilung des Kreisjugendamtes vom ../12/2017 eingeleitet.
Das Kreisjugendamt hatte mitgeteilt, dass bereits im Jahre 2013 und 2015 Meldungen wegen einer drohenden Kindeswohlgefährdung gegeben habe. Dabei sei es um die wenigen Kontakte der Mutter und des Kindes nach draußen gegangen. Bei den jeweiligen Hausbesuchen habe keine direkte Kindeswohlgefährdung festgestellt werden können, die Kindesmutter habe versichert, dass es genügend Familie und Freunde im Umfeld gebe. Sie suche aktiv nach einem Kindergartenplatz.
Ende 2016 habe der Schulsozialarbeiter Kontakt zum Jugendamt aufgenommen. Die Kindesmutter habe die schulärztliche Untersuchung nicht wahrgenommen. Auch sei das Kind noch auf keiner Schule angemeldet. Mehrfach Anschreiben und Hausbesuche seien erfolglos geblieben. Die Kindesmutter habe immer wieder zu verstehen gegeben, dass sie nicht möchte, dass Herbert 2017 die Schule besuche.
Auch den zweiten Termin der Schuleingangsuntersuchung Anfang Dezember 2016 habe die Kindesmutter nicht wahrgenommen. Schließlich sei die Schuleingangsuntersuchung am 19.12.2016 erfolgt. Das Ergebnis sei gewesen, dass Herbert einen hohen Förderbedarf habe, eine reguläre Untersuchung sei aufgrund des ängstlichen Kindes und der behütenden und vorsichtigen Mutter nicht möglich gewesen.
Herbert sei aufgrund seiner bereits vorhandenen Defizite schließlich in der Förderschule zum Sommer 2017 eingeschult worden.
Bereits kurz nach Schuljahresbeginn im Sommer 2017 sei es zu Fehltagen kommen, teilweise sei Herbert telefonisch abgemeldet worden, teilweise habe er unentschuldigt gefehlt. Herbert oder auch die Mutter seien häufig krank. Die Mutter sei mehrfach darauf hingewiesen worden, dass Herbert den Fahrservice mit dem Schulbus nutzen können, wenn die Mutter krank sei. Die Mutter habe dieses Angebot nicht nutzen wollen.
In der Folge habe es zahlreiche weitere Fehltage gegeben. Aus Sicht des Jugendamtes verhindere die Kindesmutter Herbert regelmäßigen Schulbesuch, auch eine soziale Teilhabe außerhalb der Familie bestehe nicht.
Das Jugendamt ist der Auffassung, dass eine Herausnahme von Herbert aus dem mütterlichen Haushalt notwendig ist, um die bestehende Kindeswohlgefährdung abzuwenden.
Stellungnahme der leiblichen Mutter, gemäß dem Beschluss des Amtsgerichts (Auszüge)
Die Kindermutter macht geltend, Herbert sei während der Fehlzeiten tatsächlich erkrankt gewesen. Er hat oft Bauchschmerzen (gehabt).
Herbert sei bei mehreren Ärzten in Behandlung gewesen. Er gehe regelmäßig zu Ergotherapie.
Herbert habe auch durchaus Spielkontakte, sie würden mal auf den Spielplatz vor dem Haus gehen oder so. Freunde, die er zu Hause besuche oder die ihn besuchen würden, habe er nicht. Eine Zeit lang habe ihn ein Mädchen besucht, das sei dann abgebrochen, nachdem sie dem Vater des Mädchens Geld geliehen habe.
Herbert habe keine Defizite, er sei nun einmal ruhig, daran sei doch nichts schlimm.
Er solle ja auch nicht jeden Tag etwas auf dem Plan haben.
Den Fahrdienst zu Schule möchte sie nicht nutzen, es sei doch nicht schlimm, dass sie das selber mache.
Sie und Herbert würden durch dieses Verfahren kaputt gemacht. Sie habe ihren anderen Sohn ohne Einmischung des Jugendamtes groß erzogen.
Herbert ist durch das Gericht persönlich angehört worden. Insoweit wird auf die Anhörungsvermerke vom ../../2018 und ../../2018 Bezug genommen.
Die Kindesmutter ist ebenfalls persönlich angehört worden. Insoweit wird auf die Anhörungsvermerke vom ../../2018 und ../../2018 und ../../2019 Bezug genommen.
Das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin haben Stellung genommen. Insoweit wird auf den verfahrenseinleitenden Bericht des Kreisjugendamtes vom ../12/2017 sowie die Berichte vom ../03/2018, ../04/2018, ../08/2018, ../09/2018 und ../12/2018 bzw. die Stellungnamen der Verfahrensbeiständin vom ../01/2018, ../02/2018 und ../03/2018 und auf die Terminsvermerke Bezug genommen.
Das Gericht hat gem. Beweisbeschluss vom ../10/2018 ein Sachverständigungsgutachten eingeholt zu der Frage, ob das Wohl des Kindes bei der Kindesmutter gefährdet ist. Wegen des Ergebnisses wird Bezug genommen auf das schriftliche Gutachten der Sachverständigen Teraken1 vom ../04/2019.
II. Die Entscheidung beruht auf §§ 1666, 1666a BGB.
Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht gem. § 1666 BGB die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
Maßnahmen mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden sind, sind dabei gem. § 1666 BGB nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.
Diese Voraussetzungen der Entziehung der elterlichen Sorge liegen vor.
Die Sachverständige Teraken hat insoweit ausgeführt, dass Herbert aktuell Defizite im sprachlichen, emotionalen und sozialen Bereich zeige. Er könne sich aufgrund einer erheblichen Sprachentwicklungsverzögerung im expressiven Bereich und der damit einhergehenden undeutlichen Aussprache nur schwer verständlich machen. Hinsichtlich seiner sozialen Entwicklung zeige sich Herbert auffallend zurückhaltend, vorsichtig und schüchtern, zum Teil sozial ängstlich und im Kontakt mit anderen verunsichert. Hintergrund der Verunsicherung sei sehr wahrscheinlich mangelnde Erfahrung aufgrund fehlender sozialer Kontakte bis zur Einschulung im Alter von fast 7 Jahren. Nicht auszuschließen sei aber, dass Herbert dieses sozial ängstliche Verhalten zusätzlich auch am Modell der Mutter erlernt habe.
Insgesamt zeige Herbert einen deutlich erhöhten Anspruch an seine Betreuung und Erziehung, vor allem hinsichtlich des Förderverhaltens und der emotionalen Fürsorge.
Diese Einschätzung deckt sich mit dem Eindruck des Gerichts, den es anlässlich der persönlichen Anhörungen von Herbert gewonnen hat. Herbert hat dabei jeweils – bis auf kurze Momente, in denen er „aufgeblüht“ war – einen sehr verschüchterten, zurückhaltenden Eindruck gemacht, war nur sehr eingeschränkt in der Lage, sich auszudrücken.
Die Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass sich Hinweise auf psychische Auffälligkeiten der Kindesmutter ergäben, die die Erziehungsfähigkeit erheblich herabsetzen können. Sie werde von fast allen Beteiligten als psychisch und emotional stark belastet wahrgenommen. Darüber hinaus wiesen diverse Drittberichte, die Exploration der Mutter sowie Beobachtungen im Rahmen der Begutachtung auf sozial ängstliches und vermeidendes Verhalten bei ihr hin, eine grundsätzlich misstrauische Haltung der Mutter anderen Menschen gegenüber sei offenbar geworden. In der Folge vertraue sie niemanden und nehme Außenstehende als Bedrohung wahr, was bei ihr letztlich – mit Ausnahme ihrer Familie – zur sozialen Isolation geführt habe.
Auch diese Einschätzung deckt sich mit dem Eindruck des Gerichts, den es anlässlich der persönlichen Abhörungen der Kindesmutter gewonnen hat. Deutlich ist dabei jeweils eine sehr große psychische Belastung (sicherlich auch mit – aber nicht nur – durch das Verfahren begründet) und ein tiefes Mißtrauen gegenüber staatlichen Institutionen (insbes. Jugendamt und Gericht).
Die Sachverständige hat ausgeführt, dass das Verhalten der Kindesmutter schließlich auf eine Tendenz zur verzerrten Wahrnehmung der Realität in Verbindung mit einer nachträglichen Umdeutung von Geschehnissen hindeute.
Zusammengenommen sei aufgrund der psychischen Belastung der Mutter gepaart mit sowohl sozial ängstlichem und vermeidendem als auch impulsiven Verhalten in Kombination mit einem medizinischen Krankheitsfaktor (Migräne) von einer Einschränkung ihrer allgemeinen Erziehungsfähigkeit auszugehen.
Im Bereich des konkreten Erziehungsverhaltens sei von einer deutlich eingeschränkten Kindorientierung auszugehen.
Notwendige Förderungen und Behandlungen von Herbert stelle sie nach wie vor nicht ausreichend sicher.
Es gelinge ihr nicht, ihre eigenen Bedürfnisse (Herbert bei sich zu behalten, um sich emotional zu stabilisieren und ihrer Einsamkeit entgegenzuwirken) hinter denen von Herbert zurückzustellen.
In Bezug auf das emotionale Fürsorgeverhalten der Mutter sei zwar positiv zu bewerten, dass ihre Schilderungen in der Exploration eine wertschätzen Haltung Herbert gegenüber erkennen ließen und sie während der Verhaltungsbeobachtung Herbert gegenüber ein zugewandtes Verhalten und ein hohes Maß an positiver Emotionalität gezeigt habe.
Dabei bestehe allerdings ein Mangel an Feinfühligkeit und ein geringes Maß an Empathie werde in der mangelnden Fähigkeit deutlich, die Bedürfnisse von Herbert zu erkennen und angemessen und zeitnah darauf zu reagieren.
So bagatellisiere sie seine Entwicklungsverzögerungen und lasse ihm daher nicht die notwendige Förderung zukommen. Zudem bemerke sie nicht, dass Herbert mit ihrem anklammernden Verhalten nicht wohl fühle und sie ihn damit verunsichere und in seiner Selbständigkeitsentwicklung behindere.
Insgesamt sei deshalb von einer deutlichen Einschränkung des emotionalen Fürsorgeverhaltens auszugehen.
Im Förderverhalten würden sich insgesamt stark ausgeprägte Einschränkungen zeigen, die dem Bedarf des Kindes nicht entsprächen (unzureichende Sicherstellung der Gesundheit von Herbert, unzureichende Sicherstellung des Schulbesuchs, keine entwicklungsgemäßen Anregungsbedingungen und Lernchancen, in Bezug auf das Alter von Herbert nicht angemessenes anklammerndes und überfürsorgliches Verhalten der Mutter, unzureichende Förderung der sozialen Integration, kein angemessener Schlafplatz, nicht angemessene Versorgung in Bezug auf Kleidung). Dadurch drohe eine Behinderung der geistigen und seelischen Entwicklung.
Auch diese Einschätzung des Förderverhaltens deckt sich mit der Einschätzung des Gerichts und dem Eindruck des Gerichts, den es anlässlich der persönlichen Anhörungen der Kindesmutter gewonnen hat.
In den gerichtlichen Terminen ist vom Gericht, den Mitarbeitern des Jugendamtes und der Verfahrensbeiständin versucht worden, der Kindesmutter die Bedeutung des regelmäßigen Schulbesuchs, der Förderung – auch der sozialen Kontakte – und der Abklärung gesundheitlicher Fragen deutlich zu machen. Die Kindesmutter war insoweit nur sehr eingeschränkt in der Lage, dies nachzuvollziehen. Defizite in Herberts Entwicklung und ihre eigenen Anteile daran vermochte sie ebenso wenig zu sehen, wie die Notwendigkeit der Abklärung / Behandlung gesundheitlicher Probleme von Herbert (wobei auch ein Mißtrauen gegenüber ärztlichen Leistungen insgesamt deutlich geworden ist) und die Wichtigkeit des Schulbesuchs und weiterer Förderung und sozialer Kontakte. Die Unfähigkeit Herbert etwas loszulassen (und sei es nur für die Fahrten zur Schule mit dem Bus) ist dabei sehr deutlich geworden.
Zeitweise kam es nach den Terminen zwar vorübergehend zu einer Verbesserung der Situation, die aber jeweils nicht nachhaltig war.
Die Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass darüber hinaus auch deutliche Defizite im Lenkungsverhalten vorlägen, eine Passung zum aktuellen Bedarf des Kindes liege nicht vor. Einerseits erhalte Herbert kaum Orientierung, Führung und Verhaltenssteuerung, stattdessen agiere die Kindesmutter entweder gar nicht auf Fehlverhalten oder tue dies auf der Beziehungsebene. Andererseits erhalte Herbert auch keine altersentsprechenden Handlungsspielräume, in denen er sich ausprobieren könne.
Sowohl die Bereitschaft, als auch die Fähigkeit der Mutter zur Zusammenarbeit mit anderen sei erheblich eingeschränkt.
Auch diese sehr eingeschränkte Kooperationsbereitschaft der Kindesmutter ist anlässlich der gerichtlichen Termine offenbar geworden. Zeitweise hat sie zwar unter dem Druck des Verfahrens Anpassungsleistungen erbracht, sehr deutlich geworden ist aber ihre im Grunde ablehnende Haltung gegenüber einer „Einmischung von außen“.
Die Sachverständige hat weiter ausgeführt, soweit es die Beziehung von Herbert zur Kindesmutter betreffe, sei vom Aufbau einer frühkindlichen Bindung auszugehen, für Herbert sei die Mutter die Hauptbezugsperson.
Allerdings gehe die Mutter-Kind-Beziehung mit verschobenen Grenzen zwischen den beiden einher, was von der Kindesmutter ausgehe, die ihren Sohn infantilisiere und somit übermäßig an sich binde und in ihrer Abhängigkeit halte, wodurch er keine altersentsprechenden Erfahrungen machen könne.
Zusammenfassend hat die Sachverständige ausgeführt, dass durch das Verhalten der Kindesmutter eine Gefährdung des Wohls von Herbert in Bezug auf die Grundbedürfnisse Schutz und Versorgung, Sicherstellung der Gesundheit und soziale Teilhabe bereits eingetreten sei, woraus bei ihm gravierende Entwicklungsverzögerungen vor allem im sprachlichen, sozialen und emotionalen Bereich sowie Verhaltensauffälligkeiten im sozio-emotionalen Bereich resultieren.
Vor allem stelle die Kindesmutter bereits seit mehreren Jahren die medizinische Versorgung von Herbert nicht sicher (keine Vorsorgeuntersuchungen seit November 2014 sowie keine zahnärztliche Untersuchung seit Ende 2015) und leite notwendige Behandlungen und Therapien zu spät oder gar nicht ein bzw. breche diese vorzeitig ab und/oder unterstütze sie nicht angemessen (Ergotherapie, Logopädie, Frühförderung). Darüber hinaus verhindere sie einen regemäßigen Schulbesuch ihres Sohnes und bringe ihn wenn, dann in der Regel 10 Minuten zu spät in die Schule. Durch ihr vereinnahmendes und überbehütendes Verhalten Herbert gegenüber mit der Tendenz ihn in der Wohnung abzuschirmen und sozial zu isolieren, verhindere sie zudem ausreichenden Kontakt zu Gleichaltrigen und fördere so seine soziale Integration nicht angemessen. Darüber hinaus stelle sie keine entwicklungsgemäßen Anregungsbedingungen und Lernchancen für Herbert bereit und lasse Herbert damit nicht das Mindestmaß an kognitiver Förderung zu kommen.
In Folge dessen würden sich bei Herbert eine erhebliche Sprachentwicklungsverzögerung sowie weitere gravierende Entwicklungsdefizite im sozialen und emotionalen Bereich zeigen (starke Verunsicherung im Kontakt mit anderen, fehlende Sozialkompetenz, mangelnde Selbstständigkeit), weshalb er bisher keine Freundschaft mit Gleichaltrigen habe eingehen können und sich im Kontakt mit anderen generell sehr unsicher und zum Teil sozial ängstlich zeige. Darüber hinaus hätten ihm bereits im Alter von 5 Jahren alle Schneidezähne des Milchgebisses gezogen werden müssen und auch aktuell befindet sich sein Gebiss in einem schlechten Zustand, was bei ihm Zahnschmerzen verursacht. Zudem liege bei Herbert ein Untergewicht vor.
Die Kindesmutter sei nicht bereit oder in der Lage, den Großteil der bereits bestehenden Entwicklungsdefizite und Verhaltensauffälligkeiten bei Herbert zu erkennen und wenn doch, neige sie dazu, diese zu bagatellisieren oder die Ursachen außerhalb ihres Einflussbereichs zu sehen. Eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Verhaltensbeteiligung habe nicht beobachtet werden können. Die Reflexionsfähigkeit der Kindesmutter sei grundsätzlich eingeschränkt.
Herbert sei im Haushalt der Kindesmutter multiplen Risikofaktoren gegen eine gesunde Entwicklung ausgesetzt. Schutzfaktoren sein hingegen nur in geringem Maße identifizierbar.
Grundsätzlich kämen zur Verbesserung von Defiziten in den einzelnen Teilbereichen der Erziehungsfähigkeit verschiedene pädagogische Maßnahmen (zum Beispiel Elterntraining, Erziehungsberatung, sozialpädagogische Familienhilfe) in Betracht. Grundvoraussetzung für die Umsetzung der Inhalte im Alltag mit dem Kind und somit für den Erfolg all dieser Maßnahmen sei allerdings, dass die Probleme im eigenen Erziehungsverhalten vom betroffenen Elternteil erkannt würden und dieser darüber hinaus bereit sei sich diesbezüglich aktiv auf einen Veränderungsprozess einzulassen. Diese Voraussetzungen seien bei der Kindesmutter sämtlich nicht gegeben.
Die Kindesmutter zeige erhebliche Einschränkungen sowohl in ihrer allgemeinen Erziehungsfähigkeit als auch in allen Teilbereichen des konkreten Erziehungsverhaltens. In der Folge sei es bei Herbert bereits zu den beschriebenen erheblichen Entwicklungsdefiziten und Verhaltensauffälligkeiten gekommen.
Neben der fehlenden Einsicht und Reflektion ihres eigenen Verhaltens sei sie weder bereit noch in der Lage, mit Dritten zum Wohle von Herbert zusammenzuarbeiten.
Derzeit könne Herberts Wohl nur durch eine Fremdunterbringung gesichert werden.
Die Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass aufgrund von Herberts Entwicklungsverzögerungen im sozio-emotionalen Bereich (mangelnde Ablösung von der Mutter und nicht altersgerechte Selbstständigkeitsentwicklung) zwar für ihn aktuell vor allem eine Kontinuität der Betreuungspersonen, insbesondere der Erhalt der Hauptbezugsperson von Bedeutung sei und eine längerfristige Trennung zeitweise schwere Folgen haben und dazu führen könne, dass Herbert über einen bestimmten Zeitraum erheblich in seinem Beziehungserleben verunsichert werde, bis er die Anpassungsleistungen dafür erbracht habe.
Dieser potentielle Schaden trete jedoch hinter der Kindeswohlgefährdung im Haushalt der Kindesmutter zurück, vor allem weil Herbert bei der Mutter bereits jetzt anhaltend belastet sei und dort keine Perspektive für eine gesunde Entwicklung bestehe. Herbert zeige sich z.B. in Gegenwart seiner Mutter deutlich reduziert im Verhalten und im Fühlen, wohingegen er in allen anderen Betreuungssituationen viel aktiver und lebendiger sei.
Das Gericht folgt dieser Einschätzung der Sachverständigen, macht sie sich zu eigen.
Aufgrund der fehlenden Einsicht der Kindesmutter sowohl hinsichtlich der Bedürfnisse von Herbert als auch ihrer eigenen Einschränkungen und Anteile und der weitgehend fehlenden Kooperationsbereitschaft sieht das Gericht keine andere Möglichkeit, als eine Fremdunterbringung, um die aktuelle Kindeswohlgefährdung im Haushalt der Kindesmutter von Herbert abzuwenden. Das Gericht sieht dabei durchaus, dass die Trennung von Herbert von der Kindesmutter – zumindest vorübergehend – mit erheblichen Belastungen für Herbert verbunden sein kann, gewichtet diese Belastungen wesentlich geringer, als die mit einem Verbleib im mütterlichen Haushalt für Herbert verbundenen Nachteile.
Der Kindesmutter war deshalb die elterliche Sorge insgesamt zu entziehen. Die Entziehung nur einzelner Teilbereiche der elterlichen Sorge ist nicht ausreichend. Nach dem persönlichen Eindruck des Gerichts von der Kindesmutter, ihren Äußerungen und ihrer bisherigen (nur sehr eingeschränkten) Kooperationsbereitschaft geht das Gericht davon aus, dass die Kindesmutter mit der Herausnahme von Herbert jegliche Zusammenarbeit ablehnen wird.
Stellungnahme der Pflegemutter, vorgetragen nach Angaben der Rechtsanwältin des Jugendamtes (Auszüge)
Schreiben vom …01.2020:
Die Pflegemutter berichtete, dass Herbert am …08.2019 bei Ihnen unterbracht worden sei. Da sie vorab vom Jugendamt informiert worden seien, dass Hebert bei der Kindesmutter kein eigenes Zimmer gehabt und wohl bei ihr mit im Bett geschlafen habe, hätten ihre Kinder und Pflegekinder in der ersten Nacht eine Art Bettenlager hergerichtet, sodass alle Kinder Matratze an Matratze in einem Zimmer geschlafen hätten, damit Herbert nicht so allein wäre. Nachts sei dann ihre älteste Tochter Merian ganz erschrocken aus dem Zimmer gestürmt und habe berichtet, dass Herbert versucht habe, ihr an die Brust zu gehen. Am nächsten Tag habe er auch bei ihr (Pflegemutter) versucht, an die Brust zu kommen um dort zu saugen. Sie habe ihm dann klargemacht, dass das nicht gehe. Herbert habe aber nichts anders essen wollen. Er habe nach Naschi, Cola und der Brust verlangt. Sie habe ihn dann beim Hausarzt und danach beim Kinderarzt vorgestellt. Es sei festgestellt worden, dass Herbert offensichtlich bis dahin mit Muttermilch und Naschis ernährt worden. … Er habe auch normale Nahrungsmittel kaum gekannt und nicht zu sich nehmen können. … In dem Schulranzen des Kindes hätten sie eine „Alibi-Brotdose“ mit doppeltem Boden gefunden. Oben habe ein Käsebrot gelegen, dass der Junge zu dem Zeitpunkt gar nicht hätte essen können. Darunter versteckt seien Naschis und Quetschis (Joghurt aus Quetschpackung) gewesen.
Er habe es auch nicht gekannt, sich mal draußen schmutzig zu machen. Sie seien dann an den Strand gefahren und hätten sich alle im Sand gespielt, um Herbert zu zeigen, dass Schmutzigwerden nichts Schlimmes ist.
Schreiben vom …12.2020:
Hier im Haus wohnen sieben Kinder und zwei Erwachsene. Sie verstünden sich alle gut. Nur ein Kind, der sei fünf, nerve ihn ein bisschen.
Die Pflegemutter erklärte, dass sich Herbert im Verlauf des letzten Jahres super entwickelt habe. Sie freue sich, dass er sich inzwischen auch mal freiwillig dreckig mache, mit den Klassenkameraden Fußball spiele und in der Klasse zwei enge Freunde habe, einen Jungen und ein Mädchen, mit denen er auch in der Freizeit spiele. In der Pflegefamilie komme er mit allen gut klar. Am engsten sei er mit seiner Pflegeschwester Leonie, die ADHS habe und ihn, der eher ruhig sei, stets mitziehe. Nach Herbert hätten sie ein weiteres Pflegekind, 5 Jahre, aufgenommen, um den sich Herbert gleich gekümmert und ihm hier alles gezeigt habe.
Vermerk über Anhörung des Kindes am .. Dezember 2020 durch den Vorsitzenden Richter, Richterin und Richter am Oberlandesgericht (Auszüge)
Das Kind Herbert Braun wurde am .. Dezember 2020 in der Zeit von ca. 10:10 Uhr bis 11:10 Uhr (Donnerstag / Schultag – W. F.) von den Mitgliedern des Senats in Anwesenheit der Verfahrensbeiständin Rechtsanwältin angehört.
Herbert berichtete von der Pflegefamilie, in der er jetzt lebt. Auf die Frage, ob die Pflegemutter lieb zu ihm sei, antwortete Herbert: „Ja“. Auch Pflegevater sei nett zu ihm. Auf die Frage, wer noch in der Pflegefamilie lebt, nannte Herbert den Namen Melanie und die Namen von 5 weiteren Kindern. Leonie sei ungefähr so alt wie er selbst; sie sei nett. Er teile sich ein Zimmer mit einem Jungen, der 5 Jahre alt ist. Alle anderen Kinder hätten ein eigenes Zimmer.
Auf die Frage, wer in der Familie das Essen koche, nannte Herbert den Namen des Pflegevaters. Auf die Frage nach seinem Lieblingsessen antwortete Herbert: Milchreis mit Zimt und Zucker. Er esse auch gern Nudeln mit Tomatensauce, Pfannkuchen und Pizza.
Auf die Frage, wie es in der Pflegefamilie ist, antwortete Herbert: „Gut“. Auf die Frage, ob er in der Pflegefamilie Spaß habe, antwortete Herbert „Ja“. Auf die Frage, ob die Pflegeeltern auch manchmal schimpfen würden, meinte Herbert, dass das auch mal vorkomme.
Herbert wurde danach gefragt, wo er vor der Zeit in der Pflegefamilie gewohnt habe. Die Antwort von Herbert auf diese Frage lautete: „Ich hatte da richtig viele Fehltage“. Erst etwas später berichtete Herbert, dass er in dieser Zeit bei Mama gelebt habe. Auf die Frage, wer damals noch dort gewohnt habe, nannte Herbert den Namen seines Bruders Robert. Robert sei nett. Auf die Frage, wie die Zeit damals gewesen sei, antwortete Herbert: „Ging so“. Herbert meinte, dass Mama gut kochen könne. Auf die Frage, ob es bei Mama auch so schön gewesen sei wie es jetzt ist, antwortete Herbert zunächst nicht. Nach einer längeren Zeit des Schweigens machte der Vorsitzende Richter den Vorschlag, darüber nicht weiter zu reden. Auf Frage meinte Herbert, dass Oma und Opa „auch nett“ seien. Auf die Frage, ob er Oma und Opa gern wiedersehen würde, antwortete Herbert: „Weiß nicht“.
Psychologisches Gutachten des vom Jugendamt bestellten Experten
Nach einem Jahr erstellte der Rechtspsychologe Wilkinson ein Psychologisches Gutachten vom …10.2020, das aufgrund der
1) Aktenanalyse,
2) Exploration der Mutter,
3) Exploration und Testung des Kindes,
4) Verhaltungsbeobachtung zwischen Kind, Mutter und Herberts Bruder,
5) Zusätzlichen Informationsgespräche vorbereitet worden war. „Zudem fand ein persönliches, sowie ein darauffolgendes telefonisches Gespräch mit Herberts Pflegeeltern statt“.
Die Erhebung fand an folgenden Terminen statt:
Datum | Verfahrensart und beteiligte Person | Ort der Erhebung | Dauer (h) | ||
1. Explorationstag | …05.20 | Halbstandardisiertes Interview Mutter | Gutachterpraxis | 3,6 | |
2. Explorationstag | …06.20 | Halbstandardisiertes Interview Mutter | Gutachterpraxis | 2,2 | |
Gespräch Großeltern | 0,5 | ||||
3. Explorationstag | …08.20 | Interview und Testung Herbert | Haushalt | 1,3 | |
Gespräch Pflegeeltern | Pflegefamilie | 1,2 | |||
4. Explorationstag | …09.20 | Wohnungsbegehung / Gespräch Mutter | 0,3 | ||
Gespräch Bruder | Haushalt Mutter | 0,5 | |||
Verhaltensbeobachtung Mutter–Herbert–Herberts Bruder | Diakonie | 1,1 |
Exploration von Frau Braun (Auszüge)
Frau Braun nahm die vereinbarten Termine zuverlässig wahr. Telefonisch war sie erreichbar bzw. meldete sich zeitnah zurück.
Frau Braun sei Mitte der 90er Jahre nach Deutschland gekommen. Zu Ihrem familiären Hintergrund gab sie an, dass sie „sehr oft“ Kontakt zu ihren Eltern habe. Ihre Mutter sehe sie täglich, ihren Vater treffe sie ungefähr jeden zweiten Tag. Frau Braun habe darüber hinaus zwei Nichten und einen Neffen. Frau Brauns ältestes Kind sei nun 24 Jahre alt und wohne noch in ihrem Haushalt. Frau Braun ergänzte, dass sie eine „gute“ Mutter sei, sonst wäre der älteste Sohn ausgezogen. Der älteste Sohn habe eine dreijährige Ausbildung zum Koch abgeschlossen.
Frau Braun erklärte, dass sie mit der Vorgutachterin unzufrieden sei, weil diese etwas geschrieben habe, was in diesem Zusammenhang und nach Absprache nicht habe angeführt werden sollen. Nun wisse „die ganze Stadt“ darüber Bescheid. Frau Braun kritisierte weiter Verhaltensweisen der Vorgutachterin, z. B. habe diese einmal mit der Hand auf den Tisch geschlagen, was ein anwesendes Kind mitbekommen habe.
Frau Braun konsumiere keine Drogen oder Alkohol. Zum letzten Jahreswechsel habe sie einen Sekt mit Saft getrunken. Drogen habe sie niemals konsumiert.
Ihre Wohnsituation sei unverändert. Herberts Kinderzimmer sei „wie gewohnt“ vorhanden. Beim Hausbesuch am ../08.20 bestätigte sich dies, darüber hinaus ergab sich folgendes Bild: Herberts Kinderzimmer geht vom Wohnungsflur zwischen Küche und Wohnzimmer ab. Es war mit einem Bett, einem Sessel, einem Kleiderschrank, mehreren Regalen (dort eingeräumt u. a. Bücher und Spielzeug, insbesondere Lego), einer Kommode mit einem darauf stehenden Fernseher, einem Schreibtisch mit Stuhl sowie mit Dekorationen wie einer Blume, Bildern und einer Uhr an der Wand ausgestattet. Im Hintergrund der Uhr waren Bilder von Herbert und älterem Bruder zu erkennen, hinzu kamen zahlreiche Fotos von der Mutter und von Herbert an der Wand, sowie Kuscheltiere. Das Kinderzimmer war aufgeräumt und sauber, wie der Rest der Wohnung. Das Wohnzimmer war mit Möbeln, darunter einer Sitzgarnitur, einem Aquarium, einem Fernseher, sowie einem PC eingerichtet. In der Küche befanden sich ein Herd und eine Spülmaschine. In einem Badezimmer befanden sich eine Waschmaschine sowie ein Katzenklo (zwei Kater leben in der Wohnung). Auch ein Zimmer für den ältesten Sohn war vorhanden.
Frau Braun und Herbert hätten überwiegend deutsch gesprochen.
Auf Nachfrage: Die Pflegemutter habe sich ausgedacht, dass Herbert noch habe gestillt werden wollen. Herbert habe schon lange keine „Mutterbrust“ mehr erhalten.
Exploration von Herbert
Herbert wurde in seinem Kinderzimmer in der Pflegefamilie unter vier Augen exploriert. Er zeigte sich dabei sehr höflich und angepasst und war durchgehend bemüht, an der Exploration mitzuwirken. Belastet zeigte sich Herbert, als es um die Frage des Lebensmittelpunktes ging. Er bekam feuchte Augen und sprach leiser.
Herberts Kinderzimmer im Pflegehaushalt war aufgeräumt und mit einem Bett (darauf ein großes Kuscheltier), diversen Spielzeug (z.B. Lego), einem Bett, einem Kleiderschrank und einem Regal (darin Walt Disney Bücher, selbstgebaute Sachen, eine Gipshand, ein Drache). Außerdem war eine Uhr im Kinderzimmer vorhanden, ein Traumfänger und ein Herz (darauf stand: „Ich hab Dich lieb“). Das Herz sowie einige Fotos habe er von seiner Mutter erhalten.
In der Pflegefamilie gefalle es ihm „gut“. Dass es etwas gebe, was ihm besonders in der Pflegefamilie gefalle, könne er nicht sagen. Auf die Frage, ob es jemanden gebe, den er doll vermisse: „Meine Mama“.
Ich erklärte Herbert meinen Auftrag und auch, dass es dabei im Wesentlichen um die Frage gehe, wo er leben solle. Ich erkläre Herbert dabei, dass diese Entscheidung von den Erwachsenen getroffen werde. Danach fragte ich ihn, wie er sich denn entscheiden würde, falls er diese Entscheidung allein treffen könne. Herberts Antwort lautete sogleich: „Wieder bei Mama.“ Auf die Frage, wie es ihnen denn gehen würde, wenn die Erwachsenen entscheiden würden, dass er hier [Pflegefamilie] bleibe: „Ähm, traurig“.
Bei der Befragung verwandte der Rechtspsychologe Wilkinson das sogenannte umstrittene Familienbrett-Verfahren,3 indem Herbert die Angehörigen der Pflegefamilie zur Empathie-Beurteilung vorgeschlagen wurden. Nach der Einweisung und dem deutlich geäußerten Verständnis für die Regeln der Aufstellung, wählte Herbert, auf die Bitte seine Familie aufzustellen, die folgenden Figuren in der angeführten Reihenfolge aus: 1. Herbert, 2. Pflegeschwester, 3. Pflegebruder, 4. Pflegevater, 5. Pflegeschwester, 6. Pflegebruder, 7. Pflegemutter, 8. Merian (Pflegehaushalt).
Des Weiteren kamen „ein modifizierter Satzergänzungs- und FRT-KJ Test“ zum Einsatz. „Der Test beschreibt Herberts Beziehung zu beiden Pflegeeltern als mit unterdurchschnittlich wenig positiven Beziehungsanteilen einhergehend.“
Während des Gesprächs mit Großeltern (ca. 30 min.) und der Verhaltensbeobachtung Mutter–Herbert–Herberts Bruder (ca. 66 min.) war der Rechtspsychologe imstande, sich nur einen flüchtigen Überblick über die Erziehungspotentiale der russlanddeutschen Großfamilie Braun zu verschaffen. Die etwaigen Leistungen der höchst engagierten Elternnetzwerke bzw. der Russlanddeutschen Schicksalsgemeinschaft wurden einfach übersehen.
In seinem Psychologischen Gutachten gibt der Rechtspsychologe die Stellungnahmen der „Drittpersonen“ an.
Auszüge aus dem Telefongespräch am …07.2020 mit dem Mitarbeiter des Jugendamtes, Herrn Andersen
Herr Andersen kenne die Familie seit Ende 2016. In den Jahren 2013 und 2015 habe es bereits vereinzelte anonyme Meldungen über die Familie gegeben, wonach die Familie und das Kind selten draußen gesehen worden seien. Das Jugendamt habe jeweils eine Überprüfung durchgeführt, zu diesem Zeitpunkt aber keine Kindeswohlgefährdung festgestellt.
Ende 2016 habe Frau Braun den Termin für Herberts Schuleignungsuntersuchung dann nicht eingehalten. … Herr Andersen habe daraufhin einen Hausbesuch im mütterlichen Haushalt versucht. Die Mutter habe von ihm aber lediglich am Hauseingang die Schulanmeldung entgegengenommen. Sie habe noch mitgeteilt, dass sie Herbert – wie früher seinen Bruder Robert – gern für ein Jahr von der Schule zurückstellen wolle. Die Schuleingangsuntersuchung sei danach schließlich doch noch durchgeführt worden. Dabei sei Herbert von seiner Mutter und seiner Großmutter mütterlicherseits begleitet worden.
Herrn Andersen seien dann weitere Probleme aufgefallen, z.B. Herbert beim Anziehen noch Hilfe benötigt. Er habe Mundgeruch gehabt und sei offensichtlich gewesen, dass er das Zähneputzen nicht gewohnt gewesen sei. Im letzten Jahr vor den Sommerferien sei dann deutlich geworden, dass eine Herausnahme des Kindes unumgänglich sei. Diese sei dann am ../08/2019 erfolgt. … Ferner sei zur Herausnahme aufgefallen, dass Herbert sehr klein gewesen sei und eine auffallend helle Hautfarbe gehabt habe.
Laut Herberts aktueller Therapeutin, habe Herbert derzeit keinen Bedarf für Kontakte zur Mutter, schon gar nicht für eine Rückführung zu dieser.
Zur Erziehung der Mutter gab Herr Andersen an, dass Frau Braun kein Verständnis für Herberts Lebenssituation habe. Herr Andersen falle dies an vielen Beispielen auf. Ein prominentes Beispiel sei, dass Frau Braun Herberts Entwicklungsdefizite nicht reflektiert und mit ihrem eigenen Verhalten in Zusammenhang gebracht habe. Stattdessen sage sie in Gesprächen Sätze wie: „Sogar den Katzen geht es schlecht“, weil Herbert nicht mehr im mütterlichen Haushalt lebe. Es sei sehr deutlich, dass sie Herbert zu sich zurückhaben wolle, damit es ihr (und dem Rest der Familie) wieder besser gehe. Frau Braun zeige auch kaum Interesse an der derzeitigen Lebenssituation von Herbert. Frau Kranz vom beauftragten Träger unterrichte die Mutter darüber, dass es Herbert in der Pflegefamilie gutgehe, dies wehre Frau Braun jedes Mal ab.
Es sei vor allem Herberts Großvater, der in letzter Zeit im Jugendamt erschienen sei. Hierbei habe sich bei Herrn Andersen deutlich der Eindruck ergeben, dass dieser von der Familie nun die Aufgabe erhalten habe, Herbert zurückzuholen. Herberts Großvater habe Herrn Andersen davon berichtet, dass weder seine Tochter noch seine Frau mit ihm reden würden, weil Herbert immer noch nicht im mütterlichen Haushalt sei. Herberts Großvater habe auch Kontakt zum Pflegekinderdienst aufgenommen.
Zwei Tage zuvor fand das Telefongespräch mit dem Amtsvormund, Herrn Kantor:
Herr Kantor habe die gesamte elterliche Sorge als Amtsvormund inne.
Herbert habe erhebliche motorische Defizite. So habe er zum Beginn der Pflege unter anderem seinen Pullover nicht selbst ausziehen können. Laut Logopädin habe er in der Sprache zudem den Entwicklungsstand eines Vierjährigen gehabt. Auch Herberts schulischer Verlauf sei außergewöhnlich. So habe Herbert dreimal die erste Klassenstufe besucht. Zuerst habe er eine Förderschule besucht, danach die Grundschule. In die Pflegefamilie sei er somit gekommen, ohne zuvor einen regelmäßigen Schulbesuch gehabt zu haben. Herberts Zahnstatus sei „vernichtend“ gewesen. Im Rahmen der dafür erforderlichen Behandlung seien ihm bereits diverse Zähne ohne Narkose gezogen worden. Laut Pflegeeltern habe Herbert kein bzw. kaum ein Schmerzempfinden gehabt. Das Beispiel hierfür sei das Ziehen der Zähne beim Zahnarzt ohne Narkose. Ein weiteres Beispiel bestehe darin, dass Herbert nach dem Fahrradfahren diverse blaue Flecken gehabt habe, laut Pflegeeltern habe er trotzdem keinen Schmerz gezeigt. Herr Kantor habe Herbert zuletzt am vorausgehenden Montag gesehen, da habe sich Herbert in der Pflegefamilie als fröhliches und glückliches Kind mit „leuchtenden Augen“ gezeigt. Er habe sich dort sehr gut entwickelt.
Auf Nachfrage erklärte Herr Kantor, dass er wenig Kontakt zu den Eltern bzw. zur Mutter habe. Herr Kantor habe sich diesbezüglich etwas zurückgehalten. Er habe eher Kontakt zur Herberts Großvater. Dieser habe Herrn Kantor auch gefragt, wie es Herbert gehe und wann dieser wieder in den mütterlichen Haushalt zurückkehre. Herr Kantor habe von seinen Kollegen gehört, dass die Gespräche mit der Mutter schwierig seien, auch, weil es auf der sprachlichen Ebene Verständigungsproblem gebe. Er erinnere noch, dass die Mutter mit Herbert habe nach Russland ausreisen wollen. Aus seiner fachlichen Sicht habe die Mutter keine Vorstellung darüber, was in Herberts Entwicklung alles schiefgelaufen sei, sie habe in dieser Sicht nicht die erforderliche Reflexionsfähigkeit.
Auf Nachfrage erklärte Herr Kantor, dass der Wohnort der Pflegeeltern im Gutachten nicht genannt werden solle.
Auszüge aus dem Telefongespräch am ../07/2020 mit der Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes, Frau Hubert
Frau Hubert erklärte zu Beginn, dass sie kaum mehr Angaben tätigen könne als die zuständige Fachkraft des Trägers. Sie wies dann daraufhin, dass Herberts Pflegeeltern hoch engagiert und für Herbert sehr geeignet seien („top Leute“). Aus ihrer fachlichen Sicht habe Herbert mit dieser Pflegefamilie viel Glück gehabt. Dort gebe es mehrere Kinder, auch ein etwa gleichartiges Mädchen, welches Herbert sehr unterstützt habe. Es handle sich um eine „richtig große Familie“.
Herberts Bruder und sein Großvater könnten die Situation von Herbert in der Familie auch nicht ausreichend reflektieren. Es gelinge ihnen zwar besser als der Mutter, die erzieherischen Defizite der Mutter hätten diese aber auch nicht ausgleichen können. Derzeit sei es außerdem so, dass Herbert nicht in die Familie zurückkehren wolle. Dies habe Herbert auch seiner Therapeutin mitgeteilt. Zudem wolle er keine Besuchskontakte mit seiner Mutter.
Herbert habe noch eine Vielzahl weiterer Auffälligkeiten gezeigt, z. B. er erwachsenen Frauen an die Brüste gegangen. Es habe sich in der Beziehung zwischen Mutter und Herbert um eine „sehr enge“ Mutter-Kind-Beziehung gehandelt. In der Pflegefamilie erlebe Herbert nun gesunde Strukturen und Grenzen.
Auffällig sei auch, dass Mutter Herbert noch ganz spät beim Tennis angemeldet habe. Dies zeige aus Sicht von Frau Hubert auch auf, dass die Mutter den Förderbedarf des Kindes überhaupt nicht einschätzen können. Wie man dann auf die Idee komme, ihn für Tennis anzumelden, zeige das Defizit der Mutter deutlich auf. Es gibt Familienfotos, wo Herbert mit einem Tennisschläger zu sehen ist. Das Kind ist begeistert von dieser Sportart.
Auszüge aus dem Bericht der Pflegeeltern
Das persönliche Gespräch mit beiden Pflegeeltern fand am ../08/2020 statt. Zur Pflegefamilie befragt: Die Pflegeeltern hätten drei eigene Kinder sowie drei Pflegekinder, inklusive Herbert. Die Kinder in ihrem Haushalt seien zwischen fünf und 18 Jahre alt. Herbert habe bei ihnen ein kleines Kinderzimmer, aber er könne zukünftig auch ein größeres Zimmer bekommen. Außerdem sei mit der Familie viel draußen.
Vor den Sommerferien 2019 hätten sie einen Anruf des Jugendamtes erhalten. In diesem Gespräch sei Herbert als Junge angekündigt worden, der in die dritte Klassenstufe komme und „etwas“ Förderbedarf habe. Das Jugendamt habe noch die Sommerferien abwarten wollen, dann sei die Herausnahme erfolgt. (W.F.: ohne Gerichtsurteil?!!) In der ersten Nacht sei im Haushalt der Pflegeeltern ein Matratzenlager geplant gewesen. Die große Tochter der Familie (17 Jahre alt) habe mitten in der Nacht beklagt, dass Herbert versucht habe, ihr an die Brust zu fassen. Auf Nachfrage: Herbert habe gezielt an die Brust der Tochter gefasst, um von dieser Milch zu erhalten. Die Pflegeeltern hätten Herbert Wasser zu trinken gegeben und das Jugendamt darüber in Kenntnis gesetzt. Der jetzige Kinderarzt habe daraufhin eine Breinahrung für Herbert empfohlen. Es habe sich dann auch herausgestellt, dass Herberts Darm überfüllt gewesen sei.
Er habe auch nur sehr eingeschränkt Lebensmittel zu sich genommen. Mittlerweile esse er fast alles.
Es sei dann sehr bewusst die aktuelle Schule ausgewählt worden. Allerdings habe Herbert an dieser Schule nicht in die dritte Klasse gehen können, stattdessen sei er erneut in die erste Klasse gekommen.
Aufgrund diverser Entwicklungsrückstände von Herbert habe das Jugendamt zu Beginn der Fremdunterbringung auch gleich den medizinischen Dienst der Krankenkasse (MDK) in die Pflegefamilie bestellt. Der MDK habe Herbert den Pflegegrad 3 bescheinigt sowie 80-prozentige Schwerbehinderung. Diese Informationen seien dann auch bei Herberts Familie gelandet. Der Großvater habe die 80-prozentige Schwerbehinderung von Herbert nicht erklären können und darauf beharrt, dass sie ein gesundes Kind in die Pflegefamilie gegeben hätten. Aber das sei nicht der Fall gewesen. Herbert habe sich z. B. nicht anziehen können, als er bei ihnen in die Pflegefamilie gekommen sei. Auf Nachfrage: Jetzt könne Herbert das. In der damaligen Schule sei dies jedoch „nie aufgefallen“, weil Herbert dort in Joggingsachen erschienen sei.
Laut Pflegemutter profitiere Herbert viel von einer Pflegeschwester. Die Beiden hätten ein „super Verhältnis“. Dieses Mädchen sei drei Monate jünger als Herbert. Sie besuche aber schon die vierte und Herbert die zweite Klasse derselben Grundschule. Es sei so geplant, dass sie viel Zeit mit Herbert verbringe. Die Pflegeschwester habe während der Hortbetreuung auf der vor kurzem durchgeführten Kur auch Rückmeldungen an die Pflegemutter geben können, wie es Herbert in der Hortbetreuung ergangen sei. Herbert sei in der Hortbetreuung während der Kur angespannt gewesen. Die Menschen dort hätten anders gesprochen und es sei zwischen 28 und 30°C warm gewesen, das habe Herbert zu schaffen gemacht.
Zur Ernährung gaben sie an, dass Herbert zur Aufnahme nur an Muttermilch, Cola, Milchreis (Pflegevater) und „gesüßte Sachen“ (Pflegemutter) sowie Würstchen gewöhnt gewesen sei.
Zu dem persönlichen Umgang im Herbst 2019 gab die Pflegemutter an, dass … die Mutter sich zu Beginn vor Herbert hingekniet und ihn „abgeküsst“ habe. Dabei habe Frau Braun ihren Sohn auch am Hals „geleckt“. Auf Nachfrage: „ja, geleckt.“ Es sei für die Pflegemutter verstörend/unheimlich („spookie“) gewesen.
Zu Herberts Geburtstag seien dann „drei volle Taschen“ mit Geschenken gekommen. Die Pflegemutter habe danach gebeten, die Anzahl der Geschenke zu reduzieren, auch, weil die anderen Pflegekinder nicht so viel erhalten würden. Zu Ostern sei wieder ein Paket eingetroffen. Diesmal habe es eine Vielzahl verderblicher Lebensmittel beinhaltet, z. B. Milch und Käse. Nachdem das Paket ca. eine Woche im Jugendamt zwischengelagert worden sei, seien die meisten Lebensmittel nicht mehr genießbar gewesen.
Auszug aus dem Bericht des Kinderarztes
Das telefonische Gespräch mit dem Kinderarzt fand am ../10/2020 statt. Er gab an, dass Herbert 2019 und 2020 mehrfach bei ihnen im MVZ vorstellig gewesen sei. Auf Nachfrage: Es seien keine schwerwiegenden oder chronischen Erkrankungen bei Herbert bekannt.
Die Bescheinigung der Fachärztinnen für Allgemeinmedizin und für Innere Medizin, ausgestellt Frau Braun am ../10/2020:
Von hausärztlicher Seite wurde der Sohn Herbert nicht zu Fachärzten geschickt, er hat Ergotherapie und Logopädie erhalten.
Auszug aus dem Vermerk des Oberlandesgerichts vom ../12/2020
Der Senat regt an, sodann über die Frage eines Umganges der Kindesmutter und gegebenenfalls des Bruders Robert mit Herbert zu reden. Es wird deutlich, dass heute die Voraussetzungen dafür, eine vollstreckungsfähige und regelnde Vereinbarung zu einem anstehenden Umgang zu treffen, nicht vorliegen. Dazu sind noch Fragen zu klären. Die Vertreter des Jugendamtes erklären, dass denkbar ist, einen begleitbaren Umgang unter der Mitwirkung der kirchlichen Einrichtung in Musterstadt, dort auch unter Mitwirkung von Herrn Schmidt durchzuführen. Der Senat macht deutlich, dass eine längerfristige Taktung von 4–6 Wochen bei einer Umgangsdauer von etwa 1 Stunde für den Anfang denkbar erscheint. Voraussetzung bei einem solchen Umgang ist, dass allein die Kindesmutter und gegebenenfalls der Bruder von Herbert Robert, an den Umgängen teilnehmen. Unbedingt Voraussetzung wäre, dass die Eltern der Kindesmutter sich auch in keiner Weise in der Nähe des Umgangsortes aufhalten. Der Senat verweist nur darauf, dass – mit welcher Ausprägung im Einzelnen auch immer – der Umgang am ../09/2019 im Ergebnis dazu führte, dass es Herbert schlecht ergangen ist. Er hat dem Senat signalisiert, dass eine solche Ausgestaltung für ihn nicht tragbar ist. Weiterhin ist ganz klar Voraussetzung, dass die Kindesmutter bei den Umgängen mit Herbert ausschließlich in Deutscher Sprache kommuniziert. Sofern sie ins Russische abgleiten sollte, könnten Umgänge nicht begleitet stattfinden.
Stellungnahme der Öffentlichkeit (Schreiben des/der Bundestagsabgeordneten an den gesetzlichen Amtsvormund, Herrn Kantor)
Sehr geehrter Herr Kantor,
vor einiger Zeit hat eine Bürgeranfrage mein Bundestagsbüro erreicht, die mich persönlich sehr mitgenommen hat und mich veranlasst hat, Ihnen diesen Brief zu schreiben. Es geht um Herbert Braun, geboren am ../10/2010, der im Spätsommer 2019 aus seiner Familie durch das zuständige Jugendamt herausgenommen wurde und nunmehr seit über einem Jahr in einer Pflegefamilie untergebracht ist. Jegliche Umgangskontakte mit der leiblichen Mutter sowie weiteren Familie sind derzeit untersagt.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass der Staat das Wächteramt hat, um unsere Kinder vor Gewalt, Missbrauch und der sogenannten „Kindeswohlgefährdung“ zu schützen. Dennoch gibt es durchaus berechtigte Kritik aus der Öffentlichkeit und den Medien heraus, wenn Kinder aus falscher Fürsorge zu schnell und voreilig von ihren Eltern und anderen nahstehenden Verwandten getrennt werden. In solchen Fällen fungiert die Generalklausel „Kindeswohlgefährdung“ als Keule, mit der man u. U. gerechtfertigt oder sogar bösartig jede eigentlich an sich gut funktionierende Familie und ihr Zusammenleben zerschmettern kann. Es darf hierbei nicht vergessen oder gar ignoriert werden, dass die Kinder ebenso durch die Trennung von ihren Eltern und den Verlust ihrer vertrauensvollen Umgebung traumatisiert werden wie die Eltern oder nahe Angehörige durch die Herausnahme des Kindes selbst. Genau dies ist bei der Familie Braun der Fall. Nicht nur die leibliche Mutter, vor allem die Großeltern, leiden unter einer enormen psychischen Belastung, die sich mittlerweile auf den Gesundheitszustand auswirkt.
Sehr geehrter Herr Kantor, Sie werden mir sicherlich Recht darin geben, dass Notinterventionen nicht die Dauerlösung sein können, erst recht, wenn sich diese in der Folge als falsch erweisen können. Ich habe aus den mir übermittelten Unterlagen nicht feststellen könne, dass bei Herbert Braun eindeutig Gewalt oder Vernachlässigung durch die Mutter festgestellt werden konnten. In Gesprächen mit Herberts Familie habe ich u.a. erfahren, dass Herbert einen älteren Bruder hat, der im selben Haushalt wie er gelebt hat und doch lebt und der meiner Erkenntnis nach durch die Mutter stets gut betreut und versorgt worden ist. Zusätzlich leisteten die Großeltern große Unterstützung bei der Betreuung und im Familienalltag. Herr und Frau Braun haben fünf Enkelkinder, die alle wohl auf sind, einige sind bereits berufstätig oder befinden sich in der Ausbildung. Sie haben sich stets bei der Betreuung der Enkel engagiert und immer dort ausgeholfen, wo sie nur konnten. Die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion, ob es nun Aussiedler oder Spätaussiedler sind, haben einen ausgeprägten Familiensinn. Enge familiäre Bindungen, Dauerkontakt zu Kindern und Enkelkindern, Teilhabe an der Betreuung und Erziehung sind wesentliche Merkmale für diese Volksgruppe. Es ist deshalb schwer vorzustellen, dass ihnen ausgerechnet für Herbert die „Kräfte“ ausgeblieben sind und sie dadurch eine Gefährdung seines Wohls versäumt hätten.
Ich bitte Sie ebenfalls darum zu berücksichtigen, dass Russisch die Muttersprache von Herbert und seiner Mutter ist. Die Großeltern können sich nur in russischer Sprache adäquat ausdrücken und kommunizieren mit ihren Kindern und Enkelkindern in dieser Sprache. Ich finde es deshalb ungehörig als Argument vorzuschieben, die Mutter würde gegen Auflagen verstoßen, wenn sie sich mit ihrem Sohn in ihrer bzw. seiner Muttersprache unterhält.
Sehr geehrter Herr Kantor, ich appelliere heute an Sie und Ihre Kollegen, sich den Fall nochmals genau anzuschauen und einen Schritt auf die Familie zuzugehen. Denn zerstörte familiäre Bindungen können nur schwer wiederaufgebaut werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass Rückführungen auch durch zu langes Hinauszögern scheitern können, vor allem dann, wenn keinerlei Umgangskontakte stattfinden. Wie kann in der gegenwärtigen Situation also sichergestellt werden, dass das Verbot von jeglichen Umgangskontakten das Bindungsverhalten von Herbert nicht gravierend und dauerhaft beeinflussen wird?
Ein Auszug des Kindes muss nicht zwingend die richtige Lösung sein. Manchmal reicht ein Gespräch mit den Eltern. Die Maßnahmenpalette kann von Hilfsangeboten bis zu Besuchen durch unterstützende Kräfte reichen. Die Inobhutnahme sollte immer erst das letzte Mittel sein. Ich bitte Sie deshalb diesen konkreten Einzelfall einer sorgfältigen Prüfung unterziehen und dabei das Wohl der gesamten Familie im Sinn zu behalten.
Mit freundlichen Grüßen
Bundestagsabgeordnete
Vorläufige Fallanalyse
Einer der zentralen Punkte, auf dem die Entscheidungen der zuständigen Behörden stützen, ist der „Umgang am ../09/2019“, d. h. das vom Jugendamt vereinbarte Treffen der Mutter mit ihrem Kind in den Räumlichkeiten der kirchlichen Einrichtung.
Auszüge aus dem Vermerk des Trägers (kirchliche Einrichtung) für den begleitenden Umgang zwischen dem Kind Herbert Braun und der Kindesmutter
Umgang, ../09/2019, geplant 14.30–15.00, Familienhaus der kirchlichen Einrichtung
Schon vor Eintreffen der Pflegemutter mit dem Kind wurde ein älterer Herr beobachtet, der sich auf dem Parkplatz gegenüber aufhielt und mit dem Fahrrad gekommen war. Die Pflegemutter benutzte den Parkplatz der Einrichtung direkt gegenüber und kam gegen 14 Uhr mit dem Kind.
Um 14.15 stand die Kindesmutter vor der Tür der kirchlichen Einrichtung. Zu dem Zeitpunkt befand sich der ältere Herr immer noch auf dem Parkplatz. Die Kindesmutter reagierte weder auf die Fachkräfte, noch auf die Pflegemutter, kein Wort, kein Blick. Sie kniete sofort vor dem bereits spielenden Kind und nahm ihn fest in den Arm, weinte. Nach einigen Minuten weinte auch Herbert.
Zunächst war nur das Kind zu erreichen, das sich etwas von der Kindesmutter löste als wir vorschlugen, ein gemeinsames Spiel zu spielen, um Spaß zu haben an dem Umgang. Dann erst ließ die Kindesmutter sich auffordern, sich von dem Kind zu lösen und mit an den Tisch zum Mensch-ärger-Dich-nicht-Spiel zu kommen. Sie zeigte keine Reaktion, küsste das Kind immer wieder, nahm keine Spielfigur. Herbert war interessiert an dem ihm unbekannten Spiel und um ihm den Spaß nicht zu verderben, schlug ich vor, dass er mit der Mutter in einem Team spielen würde. Herbert schien zufrieden, hatte Gefallen am Spiel.
Um 14.30 Uhr kam der ältere Sohn Robert dazu. Er begann mitzuspielen und hatte ebenfalls nach einer Zeit sichtlich Spaß. Wirkte fast kindlich unsicher, wenn er seinen Spaß bemerkte. Sein Blick zeigte dann, dass er seiner Rolle als Begleiter der Mutter wieder bewusst machen musste. Die Familie wechselte keine Worte untereinander, die Pflegemutter und ich mussten das Spiel unterhalten. Die Kindesmutter zeigte kaum Reaktion, auch nicht, als Herbert sich für das Spiel begeisterte und durch Lob Antrieb bekam.
10 Minuten später beendete ich das Spiel und schlug der Familie vor, miteinander zu spielen. Robert, der Bruder, begann nach direkter Aufforderung, mit seinem Bruder Herbert Schienen der Holzeisenbahn auszulegen. Die Brüder kommunizierten dabei nicht miteinander, spielten wortlos.
Die Kollegen beobachteten während des Umgangs die Oma und den Opa des Kindes, die sich durchgehend im Straßenbereich draußen vor dem Haus aufhalten.
Unter einem Vorwand bugsiere ich das Kind und die Pflegemutter in das Büro und will die Familienmitglieder verabschieden. Ich erlaube noch eine kurze Verabschiedung vor der Bürotür, die Mutter versucht schon da, den Arm des Kindes ziehend, sich in Richtung Tür zu bewegen.
Die Pflegemutter und Herbert halten sich noch 15–20 Minuten im Büro auf. Herbert freut sich auf den Urlaub, der mit der Pflegefamilie ansteht.
Als die Pflegemutter mit Herbert das Haus verlässt, steht die gesamte Familie noch im Umkreis des Hauses und geht gezielt auf den Parkplatz zu, auf dem auch die Pflegemutter parkt. Der Opa hat ihre Ankunft also augenscheinlich beobachtet. Wir weisen die Pflegemutter daraufhin, mit Herbert zügig ins Auto zu gehen, ich rufe der Familie zu, dass sie das auf der Straße unterlassen sollten. Eine Kollegin geht direkt zur Familie und wird beschimpft. Als die Pflegemutter mit dem Auto den Parkplatz verlässt, geht die Oma auf das Auto zu, bricht dann vor dem Bordstein zusammen. Der Opa verfolgt mit dem Fahrrad das Auto der Pflegemutter und scheint das Kennzeichen zu notieren. Der Bruder ruft und schimpft, wir würden keine Hilfestellung leisten. Die Kindesmutter beschimpft die Kollegin in russischer Sprache.
Noch etwa zehn Minuten nach Abfahrt des Kindes und der Pflegemutter verbleibt die Familie in der Straße. Dann sieht man sie weggehen. Zeitlich inzwischen 15:40 Uhr.
Danach telefoniere ich mit der Pflegemutter, die noch im Auto ist und sehr aufgelöst. Sie sagt, sie zittere am ganzen Leib und könne einen Umgang in der Form nicht noch einmal leisten.
Herr Andersen
Stellungnahme der Mutter zum begleitenden Umgang am ../09/2019
Heute ist Mittwoch, unser Treffen mit meinem Sohn Herbert.
Ich habe eine Tasche mit, um 14:30 Uhr bin ich ins Spielzimmer reingegangen, dann sah ich meinen Sohn Herbert, er sagte „Mama!“ Ich habe die Tasche schnell hingestellt, mein Sohn Herbert ist aufgestanden und zu mir gegangen, ich habe meinen kleinen Schatz bestimmt 8 Minuten festgehalten und geküsst (wie Mama so macht). Mein Sohn Herbert hat geweint und ich auch, weil wir uns schon so lange nicht gesehen haben und uns sehr vermisst haben. Die Frau, die da arbeitet, hat gesagt „genug jetzt mit weinen und küssen, jetzt spielen wir ein Spiel.“ Und ich hatte nur im meinen Kopf diesen Gedanke „Was sind das bloß für Menschen!“ und ich habe damit nicht aufgehört, weil unsere Gefühle, Mutterliebe, Kindesliebe nehmen sie von uns nicht weg! Auf keinen Fall! Danach sind wir zum Tisch gegangen und fingen das Spiel zu spielen an. Ich habe nicht mitgespielt, weil ich nur beim Herbert sein wollte, weil ich ein „Treffen“ mit meinem Sohn Herbert hatte und ihn schon so lange nicht gesehen habe. Die Szene mit dem Spielen hat angefangen, und da kam mein ältester Sohn Robert, und er hat auch dieses Spiel mitgespielt. Das Spiel heißt „Mensch, ärgere dich nicht.“ Mein Sohn Herbert hat gewonnen! Super!
Fast habe ich vergessen zu schreiben. Als ich ins Spielzimmer reingegangen bin, habe ich „Moin!“ zur Frau Pflegemutter gesagt, dann habe ich meinen Sohn Herbert gesehen. Aber die Pflegemutter ist am Tisch geblieben und nicht einmal aufgestanden, um mich zu begrüßen. „Sehr kultivierter Mensch!“
Danach haben wir etwas anderes gemacht, z. B. wollte mein Sohn Herbert kucken, was ich für ihn mitgebracht habe, wir sind zur unseren Tasche gegangen und saßen auf dem Fußboden, mein Sohn Herbert hat was gesehen, was er so gerne isst bei uns zu Hause, selbstgemachte Hefeteig mit Würstchen und selbst gemachte Nüsse gefüllt mit Caramel, er hat sich so darauf gefreut. Ich habe nun Sohn Herbert gefragt „Bist du hungrig?“– er antwortete „ja, Mama!“ Sie hätten nun sehen können, wie mein kleiner Schatz das gegessen hat! Ich kann nur das dazu schreiben, mein Sohn Herbert, wo er gerade ist, ist hungrig. Mein armer Herbert, was soll ich nun machen, er kann bei den fremden Menschen nicht mal richtig essen, weil das alles für meinen Sohn Herbert sehr fremd ist. Mein Sohn Herbert hat sich auf alles anders auch sehr gefreut, was ich für ihn mitgebracht habe.
Ich bin damit nicht einverstanden, dass unser Treffen dauerte nur 30 Minuten, Frau Kranz sagte am Freitag, dass das Treffen 1 Stunde dauern sollte. Das finde ich nicht so gut! Die beiden Frauen sagten uns, dass es schon zu Ende geht, unser Treffen heute, wir müssen uns jetzt verabschieden. Ich habe in diesem Augenblick daran nicht gedacht, auf die Uhr zu kucken, weil ich mit meinem Sohn Herbert so lange noch bleiben wollte. Aber nachher draußen habe ich meinen Sohn Robert gefragt, ob schon 1 Stunde vorbei ist? Und er antwortete „Nein, nur 30 Minuten sind vergangen!“ Ich so „wie 30 Minuten!“ Danach habe ich auf die Uhr gekuckt, das waren wirklich nur 30 Minuten. Was war das denn? Das verstehe ich nicht und mein Sohn Robert auch nicht. Ich war so schockiert, als ich meinen Sohn Herbert sah. Ich weiß nicht, wie ich das jetzt beschreiben kann, diese Zeit als ich mit meinem Sohn Herbert war. Ich habe vieles bemerkt und kann sagen, dass er anders geworden ist und hungrig ist, er hat abgenommen, er lacht nicht, er ist traurig (am Treffen war er traurig), er sieht sehr müde aus, und vieles mehr. Ich weiß nicht, was die alle mit meinem Sohn Herbert machen, er sieht sehr müde aus und er ist in meinen Augen sehr anders geworden und das finde ich als seine Mutter nicht gut.
Was mein Sohn Herbert noch sah, was seine Mama für ihn mitgebracht hat, er hat sich auch sehr darüber gefreut. Himbeeren und Brombeeren, weil er das zu essen sehr mag, die Vitaminen mag er sehr, er mag verschiedenes Obst, und wir nennen so „Vitaminen“ – das Obst!
Mein kleiner Schatz hat mir auch aufs Ohr geflüstert, dass er nach Hause möchte und dass er uns sehr vermisst hat. Ich habe zu meinem Sohn gesagt „ich weiß, mein Schatz, ich weiß, das möchte ich auch, weil ich dich sehr lieb habe und alle dich sehr vermisst haben!“ Ich fühle mich sehr traurig und meine Seele weint, genauso ist es auch bei meinem Sohn Herbert.
Mein Sohn Herbert, in meinen Augen, wirkt sehr eingeschüchtert, sehr traurig aus. Mein ältester Sohn Robert sah seinen Bruder Herbert unerwartet in einem solchen Zustand und änderte sogar sein Gesicht. Es gab viele Momente, wo ich was gesehen habe, dass Herbert nicht so gut geht, weil er nicht zu Hause ist… z. B. habe ich was aufs Ohr geflüstert, das ist ein Wort, er kennt das schon und ich war mit 100% sicher, wenn ich das sage, dann lacht er, aber als ich das sagte, hat er nicht gelacht. Das ist ein Moment aus dem Trickfilm, den mein Sohn Herbert sehr gerne mag, er hat nur ganz kurz gelacht, ich fand es so traurig, so ein Gefühl, dass die alle verbitten, ihm zu lachen, keine Ahnung, wie ich das beschreiben kann, für mich weiß ich ja, wie das so aussieht, wenn damals dieses Wort so lustig für uns zu Hause war.
Die Frau, die da arbeitet, hat gesagt, dass die müssen noch kurz ins Büro, was unterschreiben, das war so schnell und mein Sohn Herbert stand schon im Büro, ich so „was ist das denn, kann ich nicht mal zu meinem Sohn Herbert Tschüss sagen, oder was die Frau, die da arbeitet, hat meinen Sohn Herbert geschubst und sagte zu ihm „geh mal Mama Tschüss sagen!“ Frage: „Darf sie so was tun?“ Ich denke, natürlich nicht, das ist so was grob von dieser Frau. In meinen Augen war das grob, sehr grob!
Ich habe meinem Sohn Herbert gesagt: „Alles wird gut!“ Was hat mein kleiner Schatz gesagt „Mama, bitte! Ich will nach Hause!“ Ich antwortete: „Ja, ich weiß, natürlich willst du das!“ Ich hatte nicht mehr so viel Zeit, ich habe ihn geküsst und zu ihm Tschüss gesagt. Also, das Treffen war für uns sehr, sehr traurig!
Achten Sie bitte auf den Wunsch meines Sohnes Herbert, er möchte sehr zu seiner Familie nach Hause!
Diese zwei Berichte beschreiben fast gleich die Vorgehensweise des „Umgangs“, der für die Gerichtsbeschlüsse maßgebend ist. Der Wunsch des Kindes, die Gefühle der Mutter, des Verwandtschaftskreises, die Stellungnahmen der russlanddeutschen Öffentlichkeit werden von Gerichtsinstanzen kaum berücksichtigt. „Waren die Eltern nicht in Israel geboren oder ihre Herkunft unbekannt, so erhöhte dies die Wahrscheinlichkeit einer Überweisung an die Kinderschutzstelle.“ 4
Nicht einmal brachte das Kind unmissverständlich seinen Willen zum Ausdruck, wieder nach Hause kommen zu wollen, wie z. B.:
• beim begleitenden Umgang am ../09/2019: „Mama, bitte! Ich will nach Hause!“
• Rechtspsychologe Wilkinson: „Ich erklärte Herbert meinen Auftrag und auch, dass es dabei im Wesentlichen um die Frage gehe, wo er leben solle. Ich erkläre Herbert dabei, dass diese Entscheidung von den Erwachsenen getroffen werde. Danach fragte ich ihn, wie er sich denn entscheiden würde, falls er diese Entscheidung allein treffen könne. Herberts Antwort lautete sogleich: „Wieder bei Mama.“ Auf die Frage, wie es ihnen denn gehen würde, wenn die Erwachsenen entscheiden würden, dass er hier [Pflegefamilie] bleibe: „Ähm, traurig“.
Einer der Hauptgründe, die der Fremdunterbringung von Herbert zu Grunde lagen, war die mehrmals wiederholte Unwahrheit, dass das Kind in der Wohnung der Mutter
• „keinen angemessenen Schlafplatz, nicht angemessene Versorgung in Bezug auf Kleidung“ habe (Urteil des Amtsgerichts);
• „Herbert bei der Kindesmutter kein eigenes Zimmer gehabt und wohl bei ihr mit im Bett geschlafen habe“ (die Pflegemutter, vorgetragen nach Angaben der Rechtsanwältin des Jugendamtes).
Die Aussagen der Pflegemutter bzw. des Jugendamtes und der Rechtsanwältin des Jugendamtes, die auf die inhaltsleeren Behauptungen der Sachverständigen, die „nicht mehr als familienpsychologische Sachverständige tätig ist“ (Beschluss des Oberlandesgerichts vom .. 01.2020, S. 3) sind nicht wahr. Es stellte sich heraus, dass diese Behauptungen der tatsächlichen Lage widersprachen: „Herberts Kinderzimmer … war mit einem Bett, einem Sessel, einem Kleiderschrank, mehreren Regalen (dort eingeräumt u. a. Bücher und Spielzeug, insbesondere Lego), einer Kommode mit einem darauf stehenden Fernseher, einem Schreibtisch mit Stuhl sowie mit Dekorationen wie einer Blume, Bildern und einer Uhr an der Wand ausgestattet. … Das Kinderzimmer war aufgeräumt und sauber, wie der Rest der Wohnung.“ (Rechtspsychologe Wilkinson)
Die Wohnbedingungen von Herbert in der Pflegefamilie (Stand Ende 2020), trotz den Behauptungen der Pflegeeltern („Herbert habe bei ihnen ein kleines Kinderzimmer, aber er könne zukünftig auch ein größeres Zimmer bekommen“), sehen düsterer aus: „Er teile sich ein Zimmer mit einem Jungen, der 5 Jahre alt ist. Alle anderen Kinder hätten ein eigenes Zimmer.“ (Vermerk über Anhörung des Kindes am .. Dezember 2020 durch den Vorsitzenden Richter, Richterin und Richter am Oberlandesgericht). Dieser fünfjährige Junge „nerve ihn ein bisschen“, so die Pflegemutter, vorgetragen nach Angaben der Rechtsanwältin des Jugendamtes.
Die Essgewohnheiten des Kindes erfuhren wesentliche Änderungen in der Pflegefamilie. Die alltägliche Verpflegung der russlanddeutschen Familien, insbesondere der Kinder, besteht grundsätzlich aus weicher Kost: Suppen, Breigerichten (Grieß, Buchweizengrützen mit Butter oder Milch, die an Vitaminen В1, В2, В5, В6 reich sind, usw.), Dickmilch (Detje Maltj bei Mennoniten), mürbem Schweinfleisch (auch in Form von hausgemachten Würstchen bzw. Frikadellen), viel Obst und Gemüse. Die Pflegefrau nennt diese für die Russlanddeutsche traditionelle Kost herabwürdigend „Quetschis“, so im Schreiben der Rechtsanwältin des Jugendamtes. Nach Angaben des Kindes, wird ihm in der Pflegefamilie vitaminarme Kohlenhydrat-Diät angeboten: „Milchreis mit Zimt und Zucker, Nudeln mit Tomatensauce, Pfannkuchen und Pizza“, so im Vermerk über Anhörung des Kindes am .. Dezember 2020 durch den Vorsitzenden Richter, Richterin und Richter am Oberlandesgericht. Die Kostumstellung führte beim Kind zu Magenverstopfungen, was die ärztliche Intervention bedarf. Diese Lage ist bedauernswert, weil die Herberts Mutter eine qualifizierte Köchin, die auch in Deutschland als Köchin arbeitete, ist. Der älteste Bruder von Herbert hat die Ausbildung zum Koch absolviert. Sie könnten die Pflegeeltern anweisen, wie die für die russlanddeutschen Kinder üblichen Gerichte vorbereitet werden können.
Im Schreiben vom …01.2020 der Rechtsanwältin des Jugendamtes wird vorgetragen, dass Herbert „es nicht gekannt habe, sich mal draußen schmutzig zu machen“ (S. 2). Die Pflegemutter hat Herbert gezeigt, „dass Schmutzigwerden nichts Schlimmes ist“. Das Kind weigerte sich, beschmutzt zu werden, beschwerte sich die Pflegemutter. Es ist wirklich so. Den russlanddeutschen Kindern wird die Abneigung gegen Schmutz beigebracht. Nur so konnten die Russlanddeutschen in unwürdigen Lebensumständen überleben als sie dem Staatsgenozid bzw. der Entrechtungspolitik ausgesetzt (28.08.1941– ?) und nach Sibirien, dem hohen Norden, Zentralasien verbannt worden waren. Und ein Jahr später im Schreiben vom …12.2020 erklärte die Pflegemutter, „dass sich Herbert im Verlauf des letzten Jahres super entwickelt habe. Sie freue sich, dass er sich inzwischen auch mal freiwillig dreckig mache.“
Während des Umgangs am …09.2019, im Büro der kirchlichen Einrichtung, „freute sich Herbert auf den Urlaub, der mit der Pflegefamilie ansteht.“ Und dann: „Die Menschen dort hätten anders gesprochen und es sei zwischen 28° und 30°C warm gewesen, das habe Herbert zu schaffen gemacht.“– so im Bericht des Rechtspsychologen.
Die genannte Amtsvormundschaft schrieb am …10.2020: „wurde im Februar aus medizinischen Gründen ein kleiner operativer Eingriff wegen einer Vorhautverengung (Phimose) notwendig.“ War Herbert durch unzureichende Hygiene bzw. Genitalhygiene, u. a. am Ort, wo „Menschen anders sprechen und zwischen 28° und 30°C warm“ ist, an der Balanitis (Eichelentzündung) erkrankt? Das Kind wurde regelmäßig vom Kinderarzt untersucht und es gab keine Indizien für Phimose. Im Telefongespräch mit dem Rechtspsychologen, das am …10.2020 stattfand, gab der Kinderarzt an, „dass Herbert 2019 und 2020 mehrfach bei ihm vorstellig gewesen sei. Auf Nachfrage: Es seien keine schwerwiegenden oder chronischen Erkrankungen bei Herbert bekannt.“ Des Weiteren bescheinigte Fachärztinnen für Allgemeinmedizin und für Innere Medizin Frau Braun am ../10/20, dass „von hausärztlicher Seite wurde der Sohn Herbert nicht zu Fachärzten geschickt, er hat Ergotherapie und Logopädie erhalten.“
Die Sprachsituation in der Pflegefamilie ist besorgniserregend. Herbert wurde in der Atmosphäre der aktiven Zweisprachigkeit erzogen, was für seine zukünftige Integration in den globalisierten Arbeitsmarkt von Vorteil sein könnte. Es ist unklar, wie die Russische Sprache von Herbert in der Pflegefamilie gefördert wird. Der Rechtspsychologe berichtet, dass die Pflegemutter kein korrektes Hochdeutsch spreche, indem sie die Wörter aus dem englischen Kauderwelsch-Sprachraum, wie spookie „unheimlich“, verwendet. Und die Reisen der Pflegekinder nach Regionen (Ländern), wo „Menschen anders sprechen“, können kaum zur Fortentwicklung der guten Sprachkompetenzen beitragen.
Im Schreiben vom ..01.2019 der Rechtsanwältin des Jugendamtes, wird Folgendes vorgetragen: „Die Pflegemutter berichtete, dass Herbert am …08.2019 bei Ihnen unterbracht worden sei. Da sie vorab vom Jugendamt informiert worden seien, dass Herbert bei der Kindesmutter kein eigenes Zimmer gehabt und wohl bei ihr mit im Bett geschlafen habe, hätten ihre Kinder und Pflegekinder in der ersten Nacht eine Art Bettenlager hergerichtet, sodass alle Kinder Matratze an Matratze in einem Zimmer geschlafen hätten, damit Herbert nicht so allein wäre. Nachts sei dann ihre älteste Tochter Meriam ganz erschrocken aus dem Zimmer gestürmt und habe berichtet, dass Herbert versucht habe, ihr an die Brust zu gehen. Am nächsten Tag habe er auch bei ihr (Pflegemutter) versucht, an die Brust zu kommen um dort zu saugen. Sie habe ihm dann klargemacht, dass das nicht gehe. Herbert habe aber nichts anderes essen wollen. Er habe nach Naschi, Cola und der Brust verlangt“ (S. 1). „Es deutet vieles darauf hin, dass Herbert bis zur Herausnahme maßgeblich mit Muttermilch, Cola und Süßigkeiten ernährt wurde“ (S. 8).
Die Aussagen der „Pflegemutter“ bzw. des Jugendamtes und der Rechtsanwältin, die auf die inhaltsleeren Behauptungen der Sachverständigen Terapen stützen, die „nicht mehr als familienpsychologische Sachverständige tätig ist“ (Beschluss des Oberlandesgerichts vom …01.2020, S. 3), sind nicht wahr. Diese Unwahrheit wird auch vom Pflegevater (!?) im Gespräch mit dem Rechtspsychologen wiederholt: Herbert „zur Aufnahme nur an Muttermilch, Cola, Milchreis“ gewöhnt gewesen sei.
Eidestattliche Versicherungen
Am ../08/2019 sagten der Großvater und der älteste Bruder von Herbert Braun unter Eid aus, dass sie bereit sind, auf Herberts Wohlsein zu achten.
Eidesstattliche Versicherung des älteren Bruders
Hiermit erkläre ich, Robert Braun, Wohnanschrift, geboren am ../09/1996, nachdem ich eindringlich und ausführlich über die Strafbarkeit einer falschen eidesstattlichen Versicherung und darüber belehrt worden bin, dass diese Versicherung bei Gericht eingereicht wird, dass ich meine Mutter Maria Braun darin unterstützen werde, dass mein Bruder Herbert in die Schule geht. Ich werde auch ausdrücklich darauf achten, dass Herbert keinesfalls unentschuldigt in der Schule fehlt. Sollte er erkranken, werde ich meine Mutter darin unterstützen, ihn unverzüglich einem Arzt vorzustellen und von dort eine Bestätigung der Erkrankung zur Weiterleitung an die Schule einzufordern. Ich werde meine Mutter darin unterstützen, Bauchweh von Herbert auch als Ausdruck von Angst zu verstehen und sie darin zu fördern, Herbert Mut zu machen und darauf zu beharren, dass er Schulbesuch zumindest versuchen muss.
Ortangabe, ../08.2019
Unterschrift
Die Eidesstattliche Versicherung mit dem gleichen Inhalt und am gleichen Tag gab auch der Großvater von Herbert Braun ab.
Am …12.2020 von 10:30 bis 16:07 Uhr fand der Anhörungs- bzw. Verhandlungstermin beim Oberlandesgericht statt.
„Bei Aufruf des Verfahrens erschienen:
• die Kindes Mutter persönlich und für sie Frau Rechtanwältin Zolog, ebenfalls für die Kindesmutter als vereidigte Dolmetscherin Frau Bermann,
• als Verfahrensbeiständin für das Kind Herbert Braun Frau Rechtsanwältin Heltreich,
• weiterhin als Vertreter des Jugendamtes Herr Andersen und
• als Amtsvormund des Kreises Herr Kanto;
• weiter vorgeladen erscheint der Sachverständige Dipl.-Psychologe Herr Wilkinson.
Weder der Herberts Großvater noch sein Bruder wurden zur Aufklärung von Sachverhalten vom Oberlandesgericht vernommen. Den ganzen Tag warteten sie vergeblich auf den Aufruf vor die Tür des Gerichtssaals.
Frau Rechtanwältin Zolog redete die ermüdete Kindes Mutter, die ohne Unterstützung der Familienangehörigen bzw. wichtigen Augenzeugen das fast 6 Stunden andauernde Gerichtsverfahren ausharren musste, die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht vom …08.2019 zurückzunehmen ein. Das Kind blieb in der Fremdunterbringung.
Allem Anschein nach, sind die Pflegeeltern von Herbert Braun zu bedeutsamen Akteuren der juvenilen Justiz Deutschlands geworden. Zurzeit haben sie viele Kinder unterschiedlicher Altersstufen aus verschiedenen Herkunftsfamilien in ihrer Obhut. Nach Angaben des Rechtspsychologen, „Vor den Sommerferien 2019 hätten sie einen Anruf des Jugendamtes erhalten. In diesem Gespräch sei Herbert als Junge angekündigt worden, der in die dritte Klassenstufe komme und „etwas“ Förderbedarf habe. Das Jugendamt habe noch die Sommerferien abwarten wollen, dann sei die Herausnahme erfolgt.“ War der Vorgang der Fremdunterbringung des Kindes bzw. das Urteil des Amtsgerichts schon im Vorfeld, etwa 3–4 Monate zuvor, mit dem Jugendamt abgestimmt? „Die Fremdunterbringung ist insgesamt eine der Maßnahmen, die am häufigsten durch Jugendämter verfügt wird. Mit jährlichen Kosten von über fünf Milliarden Euro stellt die stationäre Unterbringung von Kindern und Jugendlichen zugleich den größten Ausgabeposten im Bereich der Hilfen zur Erziehung dar.“5
Art 6 (2) des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland besagt, dass „Pflege und Erziehung der Kinder … das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ sind. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Gleichzeitig schreibt Art 6 (4) fest, dass „Jede Mutter … Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft“ hat. Das deutsche Grundgesetz unterscheidet den Begriff „Gemeinschaft“ vom Begriff „staatliche Gemeinschaft“.
In der Soziologie wird eine Gemeinschaft als eine überschaubare soziale Gruppe bzw. einen Familien- oder Freundeskreis verstanden, deren Mitglieder durch ein starkes „Wir-Gefühl“ miteinander eng verbunden sind. Die zahlreichen amtlichen Schreiben und die Stellungnahmen der Öffentlichkeit beweisen unzweideutig, dass Frau Maria Braun der russlanddeutschen Gemeinschaft gehört, welche die Rechte der Mutter im Sinne des Art 6 (4) des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verteidigt.
Allerdings, das Jugendamt weigerte sich, die Zusammenarbeit mit dem Familienkreis bzw. mit der russlanddeutschen Gemeinschaft in Kauf zu nehmen. Eine solche Kooperationsbereitschaft könnte positiv auf die Bewahrung des Kindeswohls einwirken und vorteilhaft für alle Beteiligten sein. Ein Kooperationsvertrag zwischen dem Jugendamt und anerkannten Vertretern der russlanddeutschen Gemeinschaft käme auch in Frage, ansonsten erscheinen Jugendämter „als „autopoietische“ abgeschlossene und gewissermaßen widerspenstige Systeme“, die „schwer von außen, etwa durch die Politik, zu steuern“ sind.6
Walther Friesen
Dr. (Inst. f. Orient.) Walther Friesen
Ausbildungs- und Forschungszentrum ETHNOS e. V.
Dortmund, Germany
Notes
1. Die Daten sind anonymisiert. Zur Verbesserung der Lesbarkeit werden fiktive Namen genutzt.
2. Prof. Dr. Jestaedt, Matthias: Kindeswohl und Elternprimat; https://www.ev-akademie-boll.de/fileadmin/res/otg/651205-Jestaedt.pdf
3. Diese Methodik wird von der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie „vehement abgelehnt“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Familienaufstellung).
4. Ackermann, Timo: Über das Kindeswohl entscheiden / Eine ethnographische Studie zur Fallarbeit im Jugendamt. transcript Verlag, Bielefeld 2017; ISBN 978-3-8376-3751-9; S. 31. ←
5. Ebenda, S. 14–15.
6. Ebenda, S. 42.