In der Fallstudie wird der Ablehnungsbescheid eines Bewerbers für Aufnahme als Spätaussiedler analysiert. Obwohl die negative Stellungnahme des Bundesverwaltungsamtes sich u. a. auf die grob gefälschten Angaben des Ausländerzentralregisters stützte, wurde der Antrag abgelehnt mit der Begründung, dass der Antragsteller sein Lebensmittelpunkt außerhalb der Aussiedlungsgebieten aufzubauen beabsichtigte. In seinem Antrag gab der Aufnahmebewerber an, dass seine Mutter Judin ist und er an den Maßnahmen der jüdischen Gemeinde sowie and den Aktivitäten der rußlanddeutschen Organisationen teilnahm. Die Beamten/innen des Bundesverwaltungsamtes sind der Meinung, dass es „ein schwerwiegendes Indiz gegen eine Zuwendung zum deutschen Volkstum darstellt“.
The rejection notice of an applicant for admission to Germany as an ethnic German repatriate is analysed in this case study. Although the negative opinion of the Federal Office of Administration was based, inter alia, on the grossly falsified information provided by the Central Register of Foreigners, the application was rejected on the grounds that the applicant intended to establish his focal area of living conditions outside the deportation areas of Russia-Germans. In his application, the applicant stated that his mother is Jewish and that he participated in the cultural events of the Jewish community as well as in the activities of the Russia-Germans’ organizations. The officials of the Federal Office of Administration are of the opinion that it “represents a serious indication against a devotion to the German nationhood”.
Wie können „die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Spätaussiedler“ erfüllt werden?
(Fallstudie über einen Antragsteller, der u. a. zugibt, dass er sich zu deutsch-jüdischen Kulturwerten bekennt)
Zugrunde dieser Recherche liegen konkrete Ablehnungsbescheide, des Bundesverwaltungsamtes vom 26. Mai 2021 und vom 18. 10. 2021 sowie die vom Antragsteller und seinem Vater geschriebenen Widersprüche. Die Daten sind anonymisiert. Zur Verbesserung der Lesbarkeit werden fiktive Namen genutzt. Der Text der Schreiben des Bundesverwaltungsamtes werden mit blauem Hintergrund markiert, die Rechtsvorschriften – mit gelbem Hintergrund.
„Bundesverwaltungsamt
../..20..
Aufnahme von Deutschen nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG)
Antragsteller:
Schmidt, Paul, geboren am .. Monatsname 19..
Sehr geehrter Herr Schmidt,
Ihr Antrag vom ../..20.. auf Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler nach dem Bundevertriebenengesetz, hier eingegangen am ../../20.. wir
abgelehnt
Begründung:
Ein Aufnahmebescheid wird nach § 27 Abs. 1 S. 1 BVFG auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes (in der Bundesrepublik Deutschland) die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Spätaussiedler erfüllen.
Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG)
§ 27 Anspruch
(1) Der Aufnahmebescheid wird auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen (Bezugspersonen).
Abweichend hiervon kann Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt oder es kann die Eintragung nach Absatz 2 Satz 1 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen.
Der Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet gilt als fortbestehend, wenn ein Antrag nach Satz 2 abgelehnt wurde und der Antragsteller für den Folgeantrag nach Satz 1 erneut Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten begründet hat.
Für unsere weitere Recherche wichtig ist der oben zitierte Satz 3 des § 27 Abs. 1 BVFG: „wenn ein Antrag nach Satz 2 abgelehnt wurde und der Antragsteller für den Folgeantrag nach Satz 1 erneut Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten begründet hat.“
Gemäß § 4 BVFG können Spätaussiedler nur dann aufgenommen werden, wenn sie Ihren Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten zwischenzeitlich nicht einmal aufgegeben haben (vgl. Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 07.06.2017 – Az. 11E 318/17).
Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG)
§ 4 Spätaussiedler
(1) Spätaussiedler ist in der Regel ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat, wenn er zuvor
1. seit dem 8. Mai 1945 oder
2. nach seiner Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder
3. seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aussiedlungsgebiete verlegt haben, seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten hatte.
(2) Spätaussiedler ist auch ein deutscher Volkszugehöriger aus den Aussiedlungsgebieten des § 1 Abs. 2 Nr. 3 außer den in Absatz 1 genannten Staaten, der die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt und glaubhaft macht, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen auf Grund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag.
(3) Der Spätaussiedler ist Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes. Ehegatten oder Abkömmlinge von Spätaussiedlern, die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 in den Aufnahmebescheid einbezogen worden sind, erwerben, sofern die Einbeziehung nicht unwirksam geworden ist, diese Rechtsstellung mit ihrer Aufnahme im Geltungsbereich des Gesetzes.
Diese Voraussetzungen erfüllen Sie, Herr Paul Schmidt, nicht. Sie haben Ihren Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet bereits zweimal aufgegeben.
Gemäß § 7 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch begründet jemand seinen Wohnsitz an dem Ort, an dem er sich ständig niederlässt.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 7 Wohnsitz; Begründung und Aufhebung
(1) Wer sich an einem Orte ständig niederlässt, begründet an diesem Ort seinen Wohnsitz.
(2) Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen.
(3) Der Wohnsitz wird aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben.
Aus ihrem Antrag geht hervor, dass Sie in der Zeit von Oktober 19.. bis zum Juli 19.. in …./A-Land studiert haben. Abschließend haben Sie vom Mai 19.. bis zum Juni 20.. in …./A-Land als Freiberuflicher Sprachmittler gearbeitet. Somit haben Sie in der Zeit vom Oktober 19.. bis zum Juni 20.. Ihren Lebensmittelpunkt und damit Ihren ständigen Wohnsitz in Japan begründet.
In Ihrem Antrag haben Sie auch angegeben, dass Sie sich in der Zeit von Januar 19.. bis Mai 19.. zu Studienzwecken in Hamburg aufgehalten haben. Nach den Einträgen der Ausländerbehörde waren Sie allerdings nachweislich von ../..19.. bis zum ../.. 20.. im Bundesgebiet angemeldet.
Daher kann hier nicht von einem nur vorübergehenden Wohnsitznahme in Japan oder in Deutschaland ausgegangen werden.
Selbst wenn Sie in dieser Zeit noch einen Zweitwohnsitz in der Russischen Föderation gehabt haben sollten, wäre dies rechtlich unerheblich. Ein gleichzeitlicher Wohnsitz am mehreren Orten i. S. d. §7 Abs. 2 BGB besteht nur dann, wenn der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse ungefähr gleichmäßig aus die beiden Orte verteilt ist und dies in der Vergangenheit ebenfalls war. Solches ist vorliegend für die beiden oben genannten Zeiträume nicht erkennbar.
Da Sie zwischenzeitlich das Herkunftsgebiet bereits für mehrere Jahre verlassen und Ihren Wohnsitz außerhalb von Russland begründet haben, ist die Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler nach § 27 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 BVFG ausgeschlossen.
Inwieweit und ob es sich bei Ihnen um einen deutschen Volkszugehörigen oder Staatsangehörigen handelt, bleibt von dieser Feststellung unberührt.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch beim Bundesverwaltungsamt, 50728 Köln erhoben werden.
Die Frist ist auch gewahrt, wenn der Widerspruch bei einer Außenstelle des Bundesverwaltungsamtes erhoben wird.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Paul Schmidt ……., den .. . …… 20…
ul. ….. .. / ..
…… …….
Russische Föderation …../20.. …. ….-…
Bundesverwaltungsamt
Abteilung TS – Spätaussiedler
Herrn …….
…………….
50728 Köln
Widerspruch: Ablehnungsschreiben vom ../..20..
Sehr geehrter Herr …………….,
Ende Mai 2021 bekam ich den Ablehnungsbescheid von Ihrer Mitarbeiterin Frau ….. ….. / Referat .. .. -.
Schade, dass die Möglichkeit zum Sachverhalt schon im Prüfungsverfahren zu äußern, mir verweigert worden war. Eigentlich, die Tatsachen, die dem ablehnenden Schreiben von Frau ….. ……. widersprechen, hat sie selbst mir vor Augen geführt.
Frau Yeliz Mercan schreibt: „Aus Ihrem Antrag geht hervor, dass Sie in der Zeit von Oktober 19.. bis zum Juli 19.. in ……/A-Land studiert haben. Abschließend haben Sie vom Mai 19.. bis zum Juni 20.. in …../A-Land als Freiberuflicher Sprachmittler gearbeitet. Somit haben Sie in der Zeit vom Oktober 19.. bis zum Juni 20.. Ihren Lebensmittelpunkt und damit Ihren ständigen Wohnsitz in Japan begründet.“
Und weiter: „In Ihrem Antrag haben Sie auch angegeben, dass Sie sich in der Zeit von Januar 19.. bis Mai 19.. zu Studienzwecken in Hamburg aufgehalten haben. Nach den Einträgen der Ausländerbehörde waren sie allerdings nachweislich von …01.19.. bis zum ……201. im Bundesgebiet angemeldet.“
Diese zwei Schlussfolgerungen schließen sich gegenseitig aus. Zum einen, besage Frau Yeliz Mercan, dass ich „vom Oktober 19.. bis zum Juni 20..“ meinen „Lebensmittelpunkt im und damit meinen ständigen Wohnsitz im A-Land begründet“ habe. Zum anderen, hielte ich, nach Ihren Angaben, 16 Jahre „von 07.01.19.. bis zum 10.02.201.“ in Deutschland auf. Beides ist nicht korrekt bzw. nicht wahr!
Von Oktober 19.. bis zum Juli 19.. studierte ich an der Universität im A-Land und hatte überhaupt nicht vor, meinen Lebensmittelpunkt im A-Land zu begründen. Zwar, auf Empfehlung von meinen russischen und A-Land Professoren, um verschiedene Aspekte der japanischen Kultur und des Lebensstils eingehend zu erforschen, entschied ich mich, ein Auslandspraktikum bzw. Weiterstudium bei verschiedenen Trägern abzuleisten. Während dieser Zeit (September (19.. – Sommer 2001) hatte ich auch die Möglichkeit gehabt, das Praktikum im B-Land und anderen Ländern zu machen. Aber ich habe nie gedacht, meinen „Lebenspunkt“ weder im A-land noch in anderen Ländern, außer Deutschland, zu „begründen“. Und die benötigten Visen wurden von den Praktikumsstellen für mich beantragt. Seit Sommer 20.. lebe ich ständig in Oblast ……, d. h. im „Aussiedlungsgebiet“ der Russlanddeutschen, wo mein Vater im Arbeitslager/KZ „Zeche Nr. ..“ geboren wurde. Als freiberuflicher Sprachmittler unterstützte ich u. a. meine Mutter bis zum Ihren Tod im März 20…
Das kann auch durch den Vertrag vom ../../199., den ich mit meiner Mutter über den Kauf der eigenen Wohnung abschloss, bestätigt werden. In diesem Dokument wird es auch festgeschrieben, dass ich den für meine Reisen benötigten russischen Reisepass am ../../199. Bei der russischen Botschaft bekommen habe. Und nicht bei irgendwelcher anderen ausländischen Behörde!
Sehr geehrter Herr …., ich bitte Sie, die Angabe Ihrer Mitarbeiterin Frau …. ……, dass ich 16 Jahre in Deutschland angemeldet gewesen sei, zu prüfen. Vielleicht, sei es einfach ein grober Fehler im Wohnmelderegister vorgekommen. Oder bin ich zum Opfer des dreisten Identitätsbetrugs gefallen? Vielen Dank im Voraus.
Mit freundlichen Grüßen
Unterschrift
Paul Schmidt
Anlage:
– Vertrag vom ../../199. Über den Kauf der eigenen Wohnung in Russland (in russischer Sprache)
Der Brief vom Vater des Antragstellers:
Bundesverwaltungsamt
Referat …. .
Eupener Straße 125
50933 Köln
Antragssteller: Schmidt, Paul geb. ../../19.. / …/20.. …. …. – …
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe die Benachrichtigung vom Bundesverwaltungsamt / Außenstelle Friedland bekommen, dass das Widerspruchverfahren von Ihrem Referat bearbeitet wird.
Außer den Tatsachen, dass mein Sohn eigentlich als Praktikant bei verschiedenen Firmen in A-Land arbeitete, um die Mittel für den Kauf einer kleinen Wohnung in …./Russland einzusparen (nach dem Zerfall der UdSSR ist es die Zeit der totalen Arbeitslosigkeit in Russland gewesen) und des vermeintlichen 16-jährigen Aufenthalts meines Sohnes in Deutschland, die vom Ihren Referat geprüft werden, bin ich nicht imstande, diese Schlussfolgerung von Frau (türkische Vor- und Nachname) / Referat .. .. . nachzuvollziehen: „Inwieweit und ob es sich bei Ihnen um einen deutschen Volkszugehörigen oder Staatsangehörigen handelt, bleibt von dieser Feststellung unberührt.“
Wollte Frau (türkische Vor- und Nachname) damit sagen, dass es Zweifel an seiner deutschen Volkszugehörigkeit gebe? Mein Sohn wurde in der Atmosphäre der deutschen christlich-jüdischen Kultur erzogen. Ich glaube nicht, dass diese Erziehung ihm zum Verhängnis werde. Oder sei die Formulierung „abgelehnt“ nur ein Zwischenergebnis? Ich bitte um Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen
Hans Paul
Bundesverwaltungsamt vom ../../20..
Mit Bescheid vom ../../20.. wurde Ihr Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheids als Spätaussiedler abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, Sie hätten von 199. bis 200. Ihren Wohnsitz im A-Land gehabt. Darüber hinaus seien Sie von 199. bis 201. in Hamburg gemeldet. Vor diesem Hintergrund könne nicht mehr von einem durchgehenden Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten ausgegangen werden.
Im Einführungsabsatz wiederholen die Beamten/innen des Bundesverwaltungsamtes unverständlicherweise die Unwahrheit über die vermeintliche 16-jährige Aufenthalt von Paul Schmidt in Deutschland.
Die Frage, ob Sie die Voraussetzungen der deutschen Volkszugehörigkeit im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG erfüllen, wurde offengelassen. Gegen diese Entscheidung legte Ihr Bevollmächtigter mit Schreiben vom ../../20.. Widerspruch ein.
Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG)
§ 6 Volkszugehörigkeit
(1) Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird.
(2) Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag, in Fällen des § 27 Absatz 1 Satz 2 im Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich dieses Gesetzes, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch nicht besitzen. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch auf Grund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.
Diesem Schreiben war ein von Ihnen verfasstes Schreiben vom ../..20.. beigefügt. Auf die dort gemachten Ausführungen wird Bezug genommen. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurden weitere Ermittlungen durchgeführt. Es wurde die in Hamburg geführte Ausländerakte beigezogen. Darüber hinaus wurde Einsicht in die beim BAMF geführte Akte genommen. Wie sich aus der Ausländerakte ergab, wurde Ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung nur bis zum 28.04.1998 erteilt. Diese wurde auch ersichtlich nicht verlängert. Insofern dürfte der im Ausländerzentralregister befindliche Eintrag „Fortzug ins Ausland am 10.02.2014“ tatsächlich fehlerhaft sein.
Die Beamten/innen des Bundesverwaltungsamtes geben zu, dass der Ablehnungsbescheid wegen der groben Unwahrheit, dass Paul Schmidt „zwischenzeitlich das Herkunftsgebiet bereits für mehrere Jahre verlassen und Ihren Wohnsitz außerhalb von Russland begründet“ hat und aus diesem Grund „die Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler nach § 27 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 BVFG ausgeschlossen“ sei, unbegründet ist.
Wie sich aus der beim BAMF geführten Akte ergab, haben Sie dort mit Datum vom ../../20.. einen Antrag auf Erteilung einer Aufnahme als jüdischer Zuwanderer gestellt. Unter Punkt 1.6 des Antrages gaben Sie an, jüdischer Volkszugehöriger zu sein. Diesem Antrag lag u.a. Ihr russischer Militärausweis bei, in dem Sie mit russischer Volkszugehörigkeit eingetragen sind.
II.
Ihr Widerspruch gegen die Entscheidung ist zulässig aber unbegründet.
Die Erteilung eines Aufnahmebescheides als Spätaussiedler nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG setzt das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 4, 6 BVFG voraus.
Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG)
§ 27 Anspruch
(1) Der Aufnahmebescheid wird auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen (Bezugspersonen).
§ 4 Abs. 1 BVFG setzt zunächst voraus, dass der Aufnahmebewerber einen ununterbrochenen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten gehabt haben muss.
Der Wohnsitzbegriff des Bundesvertriebenengesetzes entspricht dem des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), so dass die Frage, ob Sie hier maßgeblichen Zeitraum 1994 bis 2000 Ihren Wohnsitz noch im Aussiedlungsgebieten hatten, nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 BGB zu beantworten ist.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 7 Wohnsitz; Begründung und Aufhebung
(1) Wer sich an einem Orte ständig niederlässt, begründet an diesem Orte seinen Wohnsitz.
(2) Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen.
(3) Der Wohnsitz wird aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben.
§ 8 Wohnsitz nicht voll Geschäftsfähiger
Wer geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, kann ohne den Willen seines gesetzlichen Vertreters einen Wohnsitz weder begründen noch aufheben.
§ 9 Wohnsitz eines Soldaten
(1) 1Ein Soldat hat seinen Wohnsitz am Standort. 2Als Wohnsitz eines Soldaten, der im Inland keinen Standort hat, gilt der letzte inländische Standort.
(2) Diese Vorschriften finden keine Anwendung auf Soldaten, die nur auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten oder die nicht selbständig einen Wohnsitz begründen können.
§ 10 (weggefallen)
§ 11 Wohnsitz des Kindes
Ein minderjähriges Kind teilt den Wohnsitz der Eltern; es teilt nicht den Wohnsitz eines Elternteils, dem das Recht fehlt, für die Person des Kindes zu sorgen. Steht keinem Elternteil das Recht zu, für die Person des Kindes zu sorgen, so teilt das Kind den Wohnsitz desjenigen, dem dieses Recht zusteht. Das Kind behält den Wohnsitz, bis es ihn rechtsgültig aufhebt.
Nach § 7 Abs. 1 BGB begründet, wer sich an einem Orte ständig niederlässt, an diesem Orte seinen Wohnsitz; nach § 7 Abs. 3 BGB wird der Wohnsitz aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben.
Es ist kaum nachvollziehbar, warum die Beamten/innen in diesem Schreiben, das eine konkrete erwachsene mündige Person betrifft, auf § 8 (Wohnsitz nicht voll Geschäftsfähiger), § 9 (Wohnsitz eines Soldaten), § 11 (Wohnsitz des Kindes) und den weggefallenen § 10 hinweisen.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Januar 1989 – 9 B 356/88 –
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Dezember 1999 – 14 A 4582/96 –
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2006 – 12 A 613/04 –
OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2006 – 12 A 613/04, S. 3
Nach § 7 Abs. 1 BGB begründet, wer sich an einem Orte ständig niederlässt, an diesem Orte seinen Wohnsitz, und nach § 7 Abs. 3 BGB wird der Wohnsitz aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben. Die Wohnsitzbegründung setzt in objektiver Hinsicht eine Niederlassung in dem Sinn voraus, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Ort der Aufenthaltsnahme gebildet wird. In subjektiver Hinsicht ist der Wille erforderlich, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse dort dauernd beizubehalten. Die Wohnsitzaufhebung verlangt außer der tatsächlichen Aufgabe der Niederlassung einen Willensakt, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse nicht am bisherigen Wohnsitz zu belassen. Der Aufgabewille ist aus den konkreten Umständen des Einzelfalles zu ermitteln und kann häufig aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die bisherige Niederlassung für lange Dauer, insbesondere mit dem Ziel der Auswanderung, verlassen und ein neuer Wohnsitz begründet worden ist.
Die Wohnsitzbegründung setzt in objektiver Hinsicht eine Niederlassung in dem Sinn voraus, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Ort der Aufenthaltsnahme gebildet wird. In subjektiver Hinsicht ist der Wille erforderlich, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse dort dauernd beizubehalten. Die Wohnsitzaufhebung verlangt außer der tatsächlichen Aufgabe der Niederlassung einen Willensakt, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse nicht am bisherigen Wohnsitz zu belassen. Der Aufgabewille ist aus den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ermitteln und kann häufig aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die bisherige Niederlassung für lange Dauer, insbesondere mit dem Ziel der Auswanderung, verlassen und ein neuer Wohnsitz begründet ist.
Die Verfasser des amtlichen Schreibens wiederholen buchstäblich den Text des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 2006. Dabei wird außer Acht gelassen, dass der Antragsteller weder einen ständigen Wohnsitz noch eine permanente Anschrift in A-Land hatte, wo er sich zum Studiums- bzw. Praktikumszweck aufhielte. 199. – 200. befand sich der ständige Wohnsitz des Antragstellers in … / Russland, er wurde, wie auch heutzutage, unter der Adresse ul. …… .. / ., …… ….. / Russland angemeldet. Dem Bundesverwaltungsamt wurde auch der Lebenslauf des Antragstellers auf Staatssprache des A-Landes, den er zwecks Bewerbung um eine Praktikumstelle verfasst hatte, zur Verfügung gestellt. Dem ist der in lateinischen Buchstaben geschriebene Anmeldungsort in ….. / Russland zu entnehmen. Falls der Antragsteller wollte, aber es ist nicht der Fall, seinen „Lebensmittelpunkt und damit“ seinen „ständigen Wohnsitz in A-Land“ zu „begründen“, musste er nach Gesetzen des A-Landes wenigstens 5 Jahre lang „nie mehr als 100 Tage am Stück oder mehr als 20 % eines Jahres im Ausland gewesen sein.“ Bei ihm war es genau das Gegenteil. Als Student und Praktikant war er immer in der Welt unterwegs gewesen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. September 1996 – 2 A 3387/93 –
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Mai 2006 – 12 A 613/05 –
Dem – zum subjektiven Niederlassungswillen gehörenden – Merkmal der Dauerhaftigkeit steht die Ungewissheit darüber, ob die Niederlassung für immer beibehalten werden kann oder bei Gelegenheit in unbestimmter Zeit wieder aufgegeben werden muss, nicht entgegen. Die Ungewissheit, wie lange ein Aufenthalt dauern wird, kann deshalb kein Abgrenzungsmerkmal zwischen Wohnsitz und bloßem Aufenthalt sein. Deshalb steht der Begründung eines Wohnsitzes nicht schon der Umstand entgegen, dass die Verwirklichung des Willens zum dauerhaften Aufenthalt von ausländerrechtlichen Genehmigungen abhängig ist. Werden sie nicht erteilt oder nicht verlängert, so führt dies zwar notwendig zur Aufgabe der Niederlassung und damit zum Wegfall der Voraussetzungen eines Wohnsitzes. Die insoweit in der Regel bestehenbleibende rechtliche Ungewissheit schließt aber, solange die mit der Verlagerung des räumlichen Lebensmittelschwerpunktes verbundene Niederlassung tatsächlich besteht, den auf dauernde Aufenthaltsnahme gerichteten Niederlassungswillen und damit die Begründung des Wohnsitzes nicht aus.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989 – 9 C 6.89 –
Nach Ihren Antragsangaben waren Sie von 19.. bis 19.. zunächst als Studierender im A-Land. Von 19.. bis Juni 20.. waren Sie nach den Antragsangaben im BVFG-Antrag als Freiberuflicher Sprachmittler in A-Land tätig. Nach den Angaben im Antrag bei, BAMF gaben Sie Ihre berufliche Tätigkeit mit Freiberuflicher Sprachmittler, Manager, an. Dass Sie möglicherweise für den genannten Zeitraum auch noch in ….. / Russland offiziell gemeldet waren, ist zunächst unerheblich. Ebenso ist unerheblich, dass Sie im Jahr 19.. in ….. / Russland eine Eigentumswohnung erwarben. Vielmehr spricht die Dauer Ihrer beruflichen Tätigkeit von immerhin 5 Jahren dafür, dass Sie in dieser Zeit den Schwerpunkt Ihrer Lebensverhältnisse in A-Land hatten.
Während dieser 5 Jahre lebte der Antragssteller auch in ….. / Russland und behielt seine russische Anmeldung im Inlandspass bei! Dennoch, „spricht die Dauer der beruflichen Tätigkeit von immerhin 5 Jahren wirklich dafür, dass“ dieser Zeitraum wirklich ausreichend sei, um den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse in einem fremden Land aufzubauen?! Die Beamten/innen des Bundesverwaltungsamtes wiesen in diesem Fall auf keine rechtlichen Vorschriften hin und von Amts wegen erteilten diese subjektive Beurteilung.
Abgesehen hiervon müssten Sie auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BVFG erfüllen.
Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag, in Fällen des § 27 Absatz 1 Satz 2 im Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich dieses Gesetzes, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch nicht besitzen. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch auf Grund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.
Die Verfasser des amtlichen Schreibens wiederholen buchstäblich den Text des § 6 Abs. 2 BVFG.
Der Gesetzgeber hat mit dem 10. BVFG Änderungsgesetz vom 06. September 2013 die Anforderungen an die deutsche Volkszugehörigkeit zwar abgesenkt, hält im Grundsatz aber weiterhin daran fest, dass die Bewerber vor dem Verlassen der Aussiedlungsgebiete ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgegeben hat und dieses im Vorhandensein gewisser Deutschkenntnisse eine Bestätigung gefunden haben muss. Auch wenn nach aktuellem Recht ein Bekenntnis auf andere Weise durch das Erlernen der deutschen Sprache und den Nachweis von Deutschkenntnissen auf dem Niveau B1 des GER erbracht werden kann, gilt dies nur dann, wenn nicht zugleich Anhaltspunkte vorliegen, die gegen Zuwendung zum deutschen Volkstum sprechen.
Der Vater des Antragsstellers gesteht in seinem Schreiben ans Bundesverwaltungsgericht, dass sein Sohn „in der Atmosphäre der deutschen christlich-jüdischen Kultur erzogen“ wurde.
Nach den Gesetzmaterialien beruht § 6 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 BVFG auf dem Erkenntnis, dass sich eine deutschstämmige Person auch durch das Erlernen der deutschen Sprache außerhalb der Familie mit ihrer Sprache und Kultur auseinandersetzen und zu ihrem Deutschsein bekennen kann und insbesondere die jüngere Generation der Spätaussiedler, der die früher bestehende Möglichkeit zur Abgabe von Nationalitätserklärungen in Inlandspässen oder anderen amtlichen Dokumenten in einigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion wie der Russischen Föderation und der Ukraine seit 1998 verwehrt ist, eine Chance erhalten sollte, ihre Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe zu bekunden. Den Gesetzmaterialien ist indes nicht zu entnehmen, dass diese Erleichterung auch dann gelten soll, wenn es aufgrund eines bei Ausstellung des ersten Inlandspasses abgegebenen Gegenbekenntnisses Zweifel an einer inneren Hinwendung zum deutschen Volkstum und deren Erkennbarkeit für die äußere Umgebung bestehen. Auch wenn mit der Neuregelung des § 6 BVFG im Allgemeinen beim Nachweis entsprechender Deutschkenntnisse ohne weitere Prüfung vermutet wird, dass dahinter subjektiv ein entsprechender Wille und das Bewusstsein stehen, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören, und der Betroffene im Aussiedlungsgebiet als deutscher Volkszugehöriger wahrgenommen wurde, gilt dies nicht schlechthin, sondern nur dann, wenn keine Anhaltspunkte vorliegen, die gegen eine tatsächliche innere Hinwendung zum deutschen Volkstum sprechen.
§ 6 BVFG führt den Begriff „Bekenntnis zum deutschen Volkstum“ ein. Der Duden deutet „Bekenntnis“ als „[Sich]bekennen, [Ein]geständnis, Erinnerungen, Lebensbeichte, das Eintreten für etwas, das Sichbekennen zu etwas, formulierter Inhalt des Bekenntnisses, Glaubensformel, Religionszugehörigkeit, Konfession“.
Die Beamten/innen des Bundesverwaltungsamtes hingegen, verwenden die Wörter „Zuwendung“ und „Hinwendung zum deutschen Volkstum“, die nach dem Duden ganz andere Bedeutung haben; Zuwendung: „1. Geld, das jemand jemandem, einer Institution zukommen lässt, schenkt 2. freundliche, liebevolle Aufmerksamkeit, Beachtung, die jemand jemandem zuteilwerden lässt“; Hinwendung: „das Hinwenden, Sichhinwenden“.
Im Sinne der „freundlichen, liebevollen Aufmerksamkeit, Beachtung“, die der Antragsteller dem deutschen Volkstum zuteilt, erfüllt er die Vorschriften des § 6 BVFG, indem er ein langejähriges aktives Mitglied des Vorstandes der regionalen Organisation der Russlanddeutschen ist. In seiner Großfamilie wurden Mennonitenplatt, Jiddisch (Dialekt des Deutschen) und Hochdeutsch gesprochen. Sein Großvater und seine Mutter jüdischer Abstammung waren Deutschlehrer. Sein Großvater war anerkannter Übersetzter der deutschen technischen Literatur, sein Großonkel, der Bertolt Brecht übersetzte, brachte ihm Zuwendung zur deutschen Literatur bei. Mit seinen zahlreichen Vettern und Cousinen unterhielt er sich auf Mennonitenplatt. Es ist nicht seine Schuld, dass er noch mehr als dutzend europäische und asiatische Sprachen beherrscht. Der Aufnahmebewerber verfasst seine Gedichte, Novellen und Theaterrezensionen auf Deutsch, Englisch, Russisch, Hebräisch und Japanisch. Seine „Hinwendung“ zum „deutschen Volkstum“ kann mit der kulturellen Vererbung bzw. Weltanschauung von Paul Celan (* 1920 in Czernowitz, Großrumänien (heute Ukraine); † 1970 in Paris), der als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Dichter des 20. Jahrhunderts gilt, verglichen werden. Paul Celan wurde in einer deutsch-, jiddisch-, rumänischsprachigen jüdischen Familie geboren.
Im Ablehnungsschreiben wird beim Antragsteller angefordert, „ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören“
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,
Urteil vom 20. September 1996 – S. 31–32
Unter Erziehung ist im allgemeinen die Prägung der Persönlichkeit eines noch nicht selbständigen Menschen durch die Vermittlung von insbesondere durch kulturelle Werte bestimmte Verhaltensnormen als Grundlage für die selbständige Lebensführung zu verstehen. Das Merkmal der Erziehung als Bestätigung für ein subjektives Bekenntnis des Aufnahmebewerbers zum deutschen Volkstum im Sinn des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG setzt danach voraus, daß der Aufnahmebewerber sein Leben mit dem Eintritt der Selbständigkeit im wesentlichen unter Beachtung der ihm vermittelten Werte deutscher Kultur gestaltet und führt.
Der Antragsteller / „der Aufnahmebewerber“ wurde in der familiären Atmosphäre der vielfältigen kulturellen Werte Deutschtums (mennonitische Volkskultur, deutsch-jüdische Traditionen, klassische deutsche Literatur) erzogen. Er beteiligte sich aktiv an den Aktivitäten der föderalen und örtlichen Organisationen der Russlanddeutschen. Soll es ihm zum Verhängnis werden, dass er sich auch mit anderen Kulturen auskennt? Sollen die Deutschen aus Kasachstan zurechtgewiesen werden, dass sie die Essgewohnheiten von Kasachen (Pilaw, Teigtaschen Manti usw.) auch in Deutschland weiterpflegen?
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das innere Bewusstsein, einem bestimmten Volkstum anzugehören, in der Regel mit der Bekenntnisfähigkeit abgeschlossen ist. Um gleichwohl einem trotz Ablegung eines Bekenntnisses zu einem bestimmten Volkstum ergriffenen Verhalten einen Bekenntnischarakter für ein anders Volkstum beimessen zu können, bedarf es daher weiterer äußerer Tatsachen, die einen Bewusstseinswandel erkennen lassen. Damit sind bei einem ausdrücklichen Gegenbekenntnis zu einem nichtdeutschen Volkstum auch weiterhin besondere Anforderungen an die Ernsthaftigkeit eines späteren Bekenntniswandel und dessen äußere Erkennbarkeit zu stellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn das neue Bekenntnis – wie hier –noch nicht einmal ausdrücklich gegenüber staatlichen Stellen erklärt wird, sondern lediglich von einem bestimmten – bei isolierter Betrachtung bekenntnisneutralen – Verhalten auf ein Bekenntnis auf andere Weise geschlossen werden soll.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2021 – 1 C 5.20 –
Urteil vom 26.01.2021 –
BVerwG 1 C 5.20ECLI:DE:BVerwG:2021:260121U1C5.20.0
Kenntnisse der deutschen Sprache bewirken für sich allein kein Abrücken von einem Bekenntnis zu einem nichtdeutschen Volkstum (sog. Gegenbekenntnis)
Leitsatz:
Allein durch den Nachweis von Deutschkenntnissen kann ein Bekenntnis auf andere Weise nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG nur erbracht werden, wenn der Betroffene kein ausdrückliches Bekenntnis zu einem anderen Volkstum abgegeben hat. Liegt ein derartiges Gegenbekenntnis vor, genügt nicht ein Verhalten, das nach dem Willen des Gesetzgebers ein Bekenntnis auf andere Weise darstellen kann, sondern bedarf es eines glaubhaften Abrückens von diesem Gegenbekenntnis.
Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum gegenüber amtlichen Stellen (und die gesellschaftlichen Organisationen) in der Russischen Föderation wurde von Ihnen nicht abgegeben. In Ihrem Militärpass ist die russische Volkszugehörigkeit eingetragen. Andere amtliche Dokumente, in denen Sie selbst mit deutscher Volkszugehörigkeit geführt werden, liegen nicht vor.
Entsprechend gehören Sie nach dem Recht des Herkunftsstaates ebenso nicht zur deutschen Nationalität.
Auch wenn nach aktuellem Recht ein Bekenntnis auf andere Weise durch das Erlernen der deutschen Sprache und den Nachweis von Deutschkenntnissen auf dem Niveau B1 des GER erbracht werden kann, gilt dies nur dann, wenn nicht zugleich Anhaltspunkte vorliegen, die gegen eine Zuwendung zum deutschen Volkstum sprechen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2021 – 1 C 5.20 –
Grundsätzlich haben Sie durch die Vorlage eines am 02.12.2020 ausgestellten Sprachzertifikates ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgegeben. Nach der oben genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann dies nur dann als wirksames Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG angesehen werden, wenn nicht zugleich Anhaltspunkte dafür vorliegen, die gegen eine Zuwendung zum deutschen Volkstum sprechen. Genau solche Anhaltspunkte liegen hier aber vor. Denn noch vor Stellung Ihres Aufnahmeantrages haben Sie einen Antrag auf Aufnahme als Jüdischer Zuwanderer gestellt. Im Rahmen dieses Verfahrens geben Sie an, jüdischer Volkszugehöriger zu sein, was wiederum ein schwerwiegendes Indiz gegen eine Zuwendung zum deutschen Volkstum darstellt.
„1939 formulierte ein Runderlass des Reichsinnenministeriums „Deutscher Volkszugehöriger ist, wer sich als Angehöriger des deutschen Volkes bekennt, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Tatsachen, wie Sprache, Erziehung, Kultur usw. bestätigt wird.“ Fast wortgleich ging diese Definition dieses Erlasses in das Bundesvertriebenengesetz ein. An Hans Globkes1 (ehem. NS-Verwaltungsjurist und späterer Chef des Bundeskanzleramtes) damaliger Interpretation, dass “Personen artfremden Blutes (sic!), insbesondere Juden und Zigeuner, (…) jedoch niemals deutsche Volkszugehörige [sind], auch wenn sie sich etwa bisher in der Tschecho-Slowakei zur deutschen Nationalität gerechnet haben sollten”, hielt man freilich nicht fest.
Im Bundesentschädigungs- und Fremdrentengesetz verzichtet man zudem auf das Bekenntnis zum “deutschen Volkstum”; das wollte man von Jüdinnen und Juden angesichts der Shoah dann doch nicht verlangen, substituierte es aber durch die Zugehörigkeit zum “deutschen Sprach- und Kulturkreis”. Das zugrunde gelegte Verständnis, dass man nicht gleichzeitig jüdische und deutsche Wertvorstellungen hegen oder Traditionen pflegen konnte, lässt sich aber heute nicht ernsthaft aufrechterhalten. Hier hatte sich durch die Hintertür doch ein völkisch-nationalistisches Geschichtsverständnis eingeschlichen.“*
1. „Hans Josef Maria Globke (* 10. September 1898 in Düsseldorf; † 13. Februar 1973 in Bonn) war ein deutscher Verwaltungsjurist, der während der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus im preußischen und im Reichsinnenministerium tätig war und von 1953 bis 1963 als Chef des Bundeskanzleramts unter Kanzler Konrad Adenauer wirkte. Er ist das prominenteste Beispiel für die Kontinuität der Verwaltungseliten zwischen dem „Dritten Reich“ und der frühen Bundesrepublik Deutschland.
Bereits während der Weimarer Republik wirkte Globke federführend an einer antijüdischen Änderung des Namensrechts mit, die der nationalsozialistischen Rassengesetzgebung den Weg bereitete. In der Zeit des Nationalsozialismus war er Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und verantwortlicher Ministerialbeamter für die Namensänderungsverordnung von 1938, durch die Juden als solche erkennbar gemacht und stigmatisiert werden sollten.
In der Adenauer-Ära war Globke als „graue Eminenz“ und engster Vertrauter des Kanzlers verantwortlich für Personalpolitik, Kabinettsarbeit, die Einrichtung und Kontrolle von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz sowie für Fragen der CDU-Parteiführung.“**
* Volker Beck: Wie deutsch ist Jiddisch? https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/jiddisch-sprache-deutsch-kultur-juden-nationalsozialismus-renten-entschaedigung-bgh/; abgerufen am 24.09.2022.
** https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Globke; abgerufen am 24.09.2022.
Ihr Widerspruch wird daher zurückgewiesen.
Mit freundlichen Grüßen,
Im Auftrag
…. Unterschrift
Walther Friesen